Nach Schiffsunglück: 134 Menschen gerettet

Foto zeigt ein Schnellboot von SOS Humanity, das auf ein Flüchtlingsboot zusteuert.
Leon Salner / SOS Humanity

Am Samstagmorgen hat die Crew des deutschen Rettungsschiffes Humanity 1 in zwei Einsätzen im zentralen Mittelmeer mehr als 130 Menschen aus Seenot gerettet. Die Rettungen ereigneten sich nur drei Tage nach dem tödlichen Schiffsunglück vor Lampedusa, bei dem am Mittwoch mindestens 27 Menschen ertranken. Trotz der unvermindert starken Fluchtbewegungen aus Libyen in Richtung Europa wiesen die italienischen Behörden der Humanity 1 das weit entfernte Napoli als sicheren Hafen zu – und halten das Rettungsschiff somit unnötigerweise für mindestens sechs Tage aus dem Einsatzgebiet fern. SOS Humanity kritisiert die Hafenzuweisung scharf.

„Die Zuweisung von Neapel als sicherem Hafen verletzt nicht nur das Recht der geretteten Menschen, schnellstmöglich an einem sicheren Ort an Land zu gehen. Es ist auch unverantwortlich, ein Rettungsschiff für mindestens sechs Tage aus einem Gebiet fernzuhalten, in dem täglich Boote in Seenot geraten.“

Der erste Seenotfall wurde in den Morgenstunden gegen 05:30 CEST gesichtet: Ein überbesetztes und seeuntaugliches Kunststoffboot. Nachdem die Rettung der mehr als 60 Menschen abgeschlossen war, entdeckte die Bestatzung ein zweites Kunststoffboot in Seenot.

In Absprache mit den zuständigen Behörden wurden auch alle 70 Menschen von diesem Boot sicher an Bord der Humanity 1 genommen. Beide Boote waren in der Nacht aus Libyen aufgebrochen und befanden sich zum Zeitpunkt der Rettung in internationalen Gewässern, etwa 165 Kilometer vor der libyschen Küste. Keines der Boote verfügte über Rettungsmittel. Die Überlebenden aus den beiden Rettung sind erschöpft, aber in einem stabilen medizinischen Zustand.

Insgesamt befinden sich nun mehr als 130 Gerettete an Bord des Rettungsschiffs Humanity 1, unter ihnen auch mehrere unbegleitete Minderjährige.

Während sie alle zur Stunde von der Crew versorgt und weitergehend medizinisch untersucht werden, hat das deutsche Rettungsschiff Kurs auf Neapel, dem von den italienischen Behörden für die Ausschiffung der Geretteten zugewiesenen Hafen, genommen.

Die Fahrt dorthin wird etwa drei Tage in Anspruch nehmen, genauso lange dauert der Rückweg in Einsatzgebiet im zentralen Mittelmeer. „Die Zuweisung von Neapel als sicherem Hafen verletzt nicht nur das Recht der geretteten Menschen, schnellstmöglich an einem sicheren Ort an Land zu gehen“, sagt Marie Michel, Advocacy-Referentin von SOS Humanity: „Es ist auch unverantwortlich, ein Rettungsschiff für mindestens sechs Tage aus einem Gebiet fernzuhalten, in dem täglich Boote in Seenot geraten.“

Erst am Mittwoch kenterten vor Lampedusa zwei Boote mit fliehenden Menschen an Bord. Mindestens 27 Personen starben, bis zu 23 weitere werden vermisst. „Noch am Mittwoch hat die italienische Regierung nach dem Unglück vor Lampedusa ihre Anteilnahme ausgesprochen – und heute sorgt sie dafür, dass im gleichen Gebiet dringend benötigte Rettungskapazitäten fehlen“, ergänzt Michel. Dabei hätten auch in Sizilien oder Süditalien Häfen für die Ausschiffung zur Verfügung gestanden, deutlich näher als das vom Ort der Rettungen knapp 800 Kilometer weit entfernte Neapel.
„Es ist wissenschaftlich belegt, dass das Fehlen von Rettungskapazitäten zu mehr Todesfällen auf See führt. Trotzdem werden Schiffen wie der Humanity 1 seit 2022 systematisch entfernte Häfen zugewiesen – politisches Kalkül, um die lebensrettende Arbeit der Zivilgesellschaft zu behindern. Diese Praxis kostete Rettungsschiffen bereits mehr als 880 Tage, in denen sie im zentralen Mittelmeer Menschen in Seenot zu Hilfe hätten kommen können. Mit der neuerlichen Zuweisung eines entfernten Hafens setzt die italienische Regierung erneut aktiv und bewusst Menschenleben aufs Spiel. Das ist ein fatales Signal!“, fährt Michel fort.