Fragen zur Organisation
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Seit inzwischen neun Jahren geht es der deutschen, gemeinnützigen, nicht-staatlichen Seenotrettungsorganisation SOS Humanity um die Rettung von flüchtenden Menschen aus Seenot, um die professionelle Versorgung und Unterstützung von Geretteten an Bord ihres Rettungsschiffes, die Dokumentation ihrer Schicksale und politische Veränderung.
Die 2015 als SOS Mediterranee Deutschland e.V. gegründete zivile Seenotrettungsorganisation beschloss 2021, mit einem weiteren Schiff die Rettungsmöglichkeiten im zentralen Mittelmeer zu verstärken. Seit Januar 2022 arbeitet die deutsche Organisation unter dem Namen SOS Humanity losgelöst vom bisherigen europäischen Verbund der vier SOS Mediterrannee-Vereine und ist seit August 2022 mit dem Schiff Humanity 1 im Rettungseinsatz. Das Ziel: mehr Menschen aus Seenot auf der tödlichen Fluchtroute zwischen Nordafrika, Malta und Italien zu retten und an einen sicheren Ort zu bringen.
Mehr über SOS Humanity und die Ziele der Organisation liest du hier.
Die Forderungen von SOS Humanity an die europäische Union und ihre Mitgliedstaaten findest du hier.
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Mit dem Rettungsschiff Humanity 1 ist SOS Humanity auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt, dem zentralen Mittelmeer, im Einsatz. Seit 2014 sind dort mehr als 22.000 Menschen (Stand 2023) ums Leben gekommen. Die Crew der Humanity 1 konzentriert sich auf das große Rettungsgebiet nördlich der libyschen Küste in internationalen Gewässern. Dort gab es in den vergangenen Jahren die meisten Seenotfälle – und keine staatliche Seenotrettung. Im Verlauf des Jahres 2023 haben sich die Seenotfälle auf der Route zwischen Tunesien und Lampedusa vervielfacht, sodass zivile Seenotretter*innen auch dort aktiv waren. Die Humanity 1 wurde von den italienischen Behörden im Sommer 2023 mehrfach gebeten, die italienische Küstenwache auf dieser Route bei Rettungen zu unterstützen.
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Die Europäische Union hat bis heute keine gemeinsame Antwort auf das Sterben im Mittelmeer gefunden. Seit der Einstellung der italienischen Operation Mare Nostrum 2014 gibt es kein staatliches Such- und Rettungsprogramm im zentralen Mittelmeer mehr. Stattdessen finanziert die EU die sogenannte libysche Küstenwache. Diese fängt Flüchtende auf See ab und zwingt sie nach Libyen zurück, wo sie weit verbreiteten und systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Diese Pull-backs sind illegal. Sowohl die seit Jahren anhaltend hohen Todeszahlen als auch die völlig unzureichenden Rettungskapazitäten haben unterschiedliche zivilgesellschaftliche Organisationen bewogen, eigene Such- und Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer durchzuführen. Damit soll zum einen sichergestellt werden, dass Menschen in Not Hilfe erhalten. Zum anderen sollen Verfehlungen und Missstände der europäischen Migrationspolitik für die Öffentlichkeit dokumentiert werden, um Veränderungen anzustoßen.
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Die Flucht über das zentrale Mittelmeer birgt viele Risiken: Bei hohem Seegang droht das Auseinanderbrechen des Bootes, vor allem in den Sommermonaten ist Dehydrierung eine lebensbedrohliche Gefahr und auch spiegelglattes Wasser kann töten, wenn man zu lange darin treibt.
Die Boote, in denen Menschen die Flucht über das Mittelmeer antreten, sind nicht für den Einsatz auf hoher See ausgelegt. Häufig handelt es sich dabei um aufblasbare Schlauchboote oder kleinere Holzboote, zuletzt wurden auch schnell sinkende Metallboote vermehrt für die Flucht über das Mittelmeer genutzt. In den meisten Fällen sind die Boote gefährlich überbesetzt und an Bord befinden sich weder Rettungsmittel wie Rettungswesten noch ausreichend Nahrung und Trinkwasser. Nur wenige Millimeter Plastik, etwas Holz oder Metall trennen die Menschen, von denen viele nicht schwimmen können, vom Wasser.
Für Erfahrungsberichte von Menschen, die über das zentrale Mittelmeer geflüchtet sind, lies unsere Testimonies.
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Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Doch die Möglichkeit, Schutz zu erlangen, setzt voraus, dass eine Person das Territorium oder zumindest die Grenze eines europäischen Mitgliedsstaates erreicht. Gleichzeitig wird der Zugang zu diesem Territorium systematisch erschwert. Weil es keine regulären, legalen und sicheren Fluchtwege in die EU gibt, riskieren Menschen die gefährliche Überfahrt über das zentrale Mittelmeer. Entscheidende Faktoren für die Flucht sind Gründe wie Kriege oder bewaffnete Konflikte in den Herkunftsländern der Menschen, Zwangsheirat, Verfolgung, Folter oder die Suche nach einer Zukunft mit Bildung, Würde und Gesundheit. Bei günstigem Wetter begeben sich vermehrt Menschen auf die Flucht über das Mittelmeer. Ein Zusammenhang zwischen der Anwesenheit von Rettungsschiffen und der Anzahl von Abfahrten (sog. Pull-Faktor) wurde mehrfach durch wissenschaftliche Studien widerlegt.
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Die Rettung von Menschen aus Seenot ist als menschliche Pflicht tief in der maritimen Tradition verankert und gleich in drei völkerrechtlichen Verträgen verbindlich geregelt: im Internationalen Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS, 1974), im Internationalen Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See (SAR, 1979) sowie im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ, 1982). Ergänzt werden diese Verträge durch Richtlinien der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO).
Allen Menschen in Seenot muss Hilfe geleistet werden, unabhängig von ihrer Nationalität, ihres Status oder der Umstände, in denen sie vorgefunden werden [SAR, SRÜ]. Seenotrettung beinhaltet, dass die Menschen geborgen, versorgt und schnellstmöglich an einen sicheren Ort gebracht werden [SAR, SRÜ]. An einem sicheren Ort dürfen die Geretteten keiner Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sein. Grundbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung müssen gewährleistet sein [IMO, MSC.167(78)]. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, 1953) sowie die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, 1954) schreiben zudem vor, dass Menschen nicht in ein Land mit prekärer Menschenrechtslage zurückgebracht werden dürfen (Refoulement-Verbot).
Küstenstaaten sind dazu verpflichtet, einen wirksamen Such- und Rettungsdienst einzurichten und die dafür nötigen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen (SRÜ). Sie sind weiterhin dafür verantwortlich Rettungseinsätze zu koordinieren und den Geretteten einen sicheren Ort zuzuweisen [SAR, IMO, MSC.167(78)]. Kernstück dieser Verpflichtung ist die Einrichtung einer Rettungsleitstelle. Diese muss 24 Stunden am Tag erreichbar und mit englischsprechendem Personal besetzt sein [IMO, MSC.70(69)].
Vor Ort müssen wir dennoch immer wieder beobachten, wie staatliche Akteure ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen umgehen und Menschenrechte systematisch verletzen: Rettungsleitstellen reagieren nicht oder zu spät, sie kommen ihrer Pflicht zur Koordination nicht nach, Notrufe bleiben unbeantwortet und werden nicht weitergeleitet. Stattdessen kooperiert die EU mit der sogenannten libyschen Küstenwache, welche Flüchtende völkerrechtswidrig in das Land zurückzwingt. Mehr dazu kann in unserem Report „Völkerrecht über Bord“ nachgelesen werden.
Fragen zum Einsatz
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Alle Schiffe auf See sind rechtlich dazu verpflichtet Menschen in Seenot Hilfe zu leisten (UNCLOS Art. 98). Ein Seenotfall ist eine Situation, in der hinreichender Grund zur Annahme besteht, dass sich ein Boot in einer unmittelbaren Notlage befindet und ohne sofortige Hilfe von außen aus dieser nicht mehr herauskommt. Solch eine Notsituation liegt zum Beispiel vor, wenn ein Boot manövrierunfähig ist, wenn die Anzahl der Menschen an Bord die Kapazitäten des Schiffes übersteigt oder wenn es an Rettungsausrüstung wie Rettungswesten mangelt.
Die Menschen, die in völlig überbesetzten Booten und ohne Rettungswesten, oft auch ohne ausreichend Wasser und Essen und Sprit von Libyen oder Tunesien ablegen, sind daher grundsätzlich in Seenot, sobald sie die Küste verlassen.
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Da die europäischen Staaten ihrer Pflicht zur Koordination von Seenotfällen im zentralen Mittelmeer nicht mehr nachkommen, sind wir auf die Arbeit anderer maritimer und vor allem zivilgesellschaftlicher Akteur*innen angewiesen. Vor allem die zivile Notfallhotline für Menschen in Seenot – das Alarm Phone – und die zivile Luftaufklärung mit Flugzeugen von Sea-Watch und Pilotes Volontaires sind wichtige Quellen, um überhaupt von Booten in Seenot zu erfahren. Darüber hinaus wird ab dem Eintreffen im Einsatzgebiet mit einem zusätzlichen Ausguck begonnen, bei der die Crew bei Tageslicht durchgehend mit Ferngläsern den Horizont nach möglichen Booten in Seenot absuchen. Technische Unterstützung kommt über zwei Radargeräte. Oft sind die Boote jedoch so klein, dass sie mit unserer technischen Ausrüstung nicht erfasst werden können. Umso wichtiger ist der Austausch ziviler Akteur*innen.
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Sobald die Humanity 1 von einem Seenotfall erfährt oder ein Boot in Seenot von Bord aus sichtet, ist die Crew rechtlich dazu verpflichtet die Menschen aus Seenot zu retten. Dabei informiert die Humanity 1 die zuständigen Behörden über jeden Schritt in Echtzeit. Staatliche Rettungsleitstellen haben die Pflicht umgehend einen Such- und Rettungseinsatz zu koordinieren, sobald sie von einem Seenotfall in Kenntnis gesetzt werden. In der Regel wird diese Pflicht im zentralen Mittelmeer jedoch missachtet.
Sobald die Humanity 1 nach erfolgreicher Suche den Seenotfall erreicht hat, nähert sich das Rettungsteam mit den Beibooten dem betroffenen Boot und nimmt Kontakt mit den Menschen an Bord auf. Nachdem an alle Rettungswesten verteilt wurden, beginnt unser Team, die Menschen in kleinen Gruppen an Bord der Beiboote zu nehmen. Medizinische Notfälle werden zuerst evakuiert. Anschließend Kinder und Frauen, dann Männer.
Der Ablauf der einzelnen Such- und Rettungseinsätze ist in unseren Einsatzberichten dokumentiert.
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Unsere Einsätze finden stets unter Einhaltung geltenden Seevölkerrechts statt. Dies beinhaltet die Kommunikation über alle Schritte der Humanity 1 an die jeweils zuständigen Rettungsleitstellen in Libyen, Malta oder Italien. Sobald die Crew alle Trainings abgeschlossen hat und im Einsatzgebiet eingetroffen ist, informieren wir die zuständigen Rettungsleitstellen, dass die Humanity 1 zur Verfügung steht für die Suche und Rettung von offenen Seenotfällen. Die Küstenstaaten sind dafür verantwortlich, die Suche und Rettung auf See zu koordinieren und nach einer Rettung einen sicheren Hafen zuzuweisen.
Übernimmt die zuständige Rettungsleitstelle die Koordinierung eines Seenotfalles nicht, ist es Aufgabe der umliegenden Rettungsleitstellen dieser koordinierenden Funktion nachzukommen (SAR Convention). Bei den bisherigen Einsätzen der Humanity 1 haben alle Küstenstaaten und Rettungsleitstellen im Mittelmeer ihre rechtlichen Pflichten systematisch verletzt. In manchen Fällen ist Italien der Pflicht zur Koordination nachgekommen. In fast allen Fällen hat Italien einen sicheren Hafen zur Ausschiffung der Überlebenden zugewiesen.
Die libysche Rettungsleitstelle erfüllt die Anforderungen an eine Rettungsleitstelle grundsätzlich nicht: Weder ist sie rund um die Uhr erreichbar, noch gibt es englischsprachiges Personal. In der Regel bleiben Funkanrufe sowie E-Mails unbeantwortet.
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Direkt nach der Rettung erhalten alle Geretteten bei der Ankunft an Bord ein Rescue-Kit. In diesem befinden sich trockene Kleidung, eine Decke sowie energiereiche Nahrung und Trinkwasser. Bei der Registrierung prüft unser medizinisches Team, welche Personen sofort medizinische Behandlung benötigen, und leitet diese notfalls ein. Frauen und Kinder werden in einem eigenen Rückzugsraum, dem sogenannten „Women Shelter“, untergebracht. Bis die Geretteten an einem sicheren Ort an Land gehen können, stellen die Teams die Versorgung der Grundbedürfnisse sowie die medizinische und psychologische Notversorgung. Außerdem dokumentieren unsere Teams die Geschichten der Geflüchteten.
Bis 2023 waren lange Blockaden bis zur Zuweisung eines sicheren Ortes, an dem Gerettete an Land gehen können, traurige Normalität. Mit einem neuen Gesetz, das 2023 in Italien verabschiedet wurde und die unmittelbare Fahrt zum zugewiesenen Hafen vorschreibt, ändert sich die Taktik der italienischen Regierung. Italien weist systematisch weit entfernte Häfen zu. Gerettete werden somit einem körperlichen und psychischen Risiko ausgesetzt und Rettungsschiffe mehrere Tage aus den Rettungsgebieten ferngehalten.
Im April 2023 haben wir beim Zivilgericht in Rom Klage gegen die Praxis der systematischen Zuweisung weit entfernter Häfen eingereicht, da sie nicht im Einklang mit dem internationalen Seerecht steht.
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Laut Seerecht ist eine Rettung erst abgeschlossen, wenn die geretteten Menschen an einem sicheren Ort an Land gegangen sind (SOLAS / Kapitel 5 / Regulation 33). Es muss demnach gewährleistet sein, dass die Menschen Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung erhalten und dass keine Gefahr weiterer Verfolgung besteht.
Darüber hinaus greift der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Principle of Non-Refoulement) als Teil des Völkergewohnheitsrechts. Es untersagt die Rückführung von Menschen in ein Land, in dem ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Beide Bedingungen – die Bereitstellung eines sicheren Ortes sowie der Grundsatz der Nichtzurückweisung – wären bei einer Rückführung geretteter Menschen nach Libyen oder Tunesien nicht erfüllt und würden damit einen Bruch geltenden Völkerrechts darstellen.
Mehr zu den Gründen, warum weder Libyen noch Tunesien sichere Orte sein können, liest du in unserem Beitrag zum Ergebnis der UN-Untersuchungskomission und in unserem Hintergrundartikel zu Tunesien.
Fragen zur Unterstützung
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Die Arbeit von SOS Humanity wird von einer engagierten Zivilgesellschaft getragen. Freiwilligengruppen engagieren sich an Land, Ehrenamtliche arbeiten an Bord mit. SOS Humanity ist Mitglied im Deutschen Spendenrat und finanziert sich in erster Linie durch Einzelspenden, aber auch durch die Unterstützung von meist humanitären Organisationen. Sie alle tragen dazu bei, dass mit dem Rettungsschiff Humanity 1, einem der Bündnisschiffe von United4Rescue, und der langjährigen Erfahrung der Mitarbeitenden schutzsuchende Menschen in Seenot unabhängig von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit oder politischer Überzeugung gerettet werden können. Im Sommer 2023 erhielt SOS Humanity erstmals eine durch das Auswärtige Amt bewilligte Zuwendung aus dem Bundeshaushalt , entsprechend einem Beschluss des deutschen Bundestages von Ende 2022, Seenotrettung im Mittelmeer fördern zu wollen.
Eine detaillierte Aufschlüsselung über unsere Einnahmen und Ausgaben findest du in unseren öffentlich einsehbaren Jahresberichten.
Eine Liste unser wichtigsten Unterstützers*innen und Partner-Organisationen findest du hier.
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Es gibt viele Möglichkeiten, sich für die zivile Seenotrettung und SOS Humanity einzusetzen: Ob du dich in unseren Newsletter einträgst oder unseren Kanälen in den sozialen Medien folgst – wichtig ist, dass möglichst viele Menschen auf die unhaltbaren Zustände im zentralen Mittelmeer aufmerksam werden. Mehr dazu kannst du auch bei Veranstaltungen von und mit uns erfahren oder indem du dich in einer unserer Freiwilligengruppen engagierst. Du möchtest an Bord der Humanity 1 unterstützen, dann informiere dich auf unserer Webseite zum Crewing über deine Möglichkeiten. Als überwiegend spendenfinanzierte NGO sind wir außerdem auf Spenden aus der Zivilbevölkerung angewiesen. Du kannst mit Familie und Freund*innen eine Spendenaktion starten oder uns regelmäßig unterstützen.