SOS Humanity fordert anlässlich Migrationstreffen in Berlin und Brüssel humane Flüchtlingspolitik
28.09.2023. Heute treffen sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit ihrem italienischen Amtskollegen Antonio Tajani in Berlin sowie parallel die EU-Innenminister in Brüssel. Anlässlich dieser Treffen äußert sich der Geschäftsführer von SOS Humanity, Till Rummenhohl:
„Nächste Woche jährt sich der Schiffbruch vor Lampedusa, bei dem im Jahr 2013 mindestens 366 Menschen ums Leben kamen, zum zehnten Mal. Seitdem sind keine politischen Lösungen gefunden worden, um das fortlaufende Sterben im Mittelmeer zu verhindern, im Gegenteil: Die heute verhandelten Maßnahmen wie der EU-Tunesien-Deal und die anstehende Reform des Europäischen Asylsystems werden nicht zu weniger Menschen auf der Flucht führen, sondern zu gefährlicheren Fluchtwegen und menschenunwürdigen Zuständen an Europas Außengrenzen.
Mehr als 22.000 Menschen sind seit 2014 auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken, dieses Jahr bezeugen wir mit über 2.000 Toten eine dramatische Zunahme an Todesfällen.
Seenotrettung ist nicht nur humanitäre, sondern auch rechtliche Pflicht. Wir fordern seit vielen Jahren ein staatlich koordiniertes, europäisches Seenotrettungsprogramm, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Kriminelle Akteure, wie die sogenannte libysche Küstenwache, und Menschenrechte missachtende Regierungen wie die Tunesiens, werden mit Millionen unterstützt, statt Europas Werte umzusetzen und Leben zu retten. Die Unterstützung lebensrettender Maßnahmen auf See sollte eine Selbstverständlichkeit sein – für alle europäischen Staaten. Die EU bricht See- und Völkerrecht und versenkt Europas Werte an den Außengrenzen.
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag versprochen ‚eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung im Mittelmeer‘ und eine ‚faire Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeit bei der Aufnahme zwischen den EU-Staaten‘ umzusetzen. Bislang sehen wir nur eine jüngst genehmigte, finanzielle Unterstützung der zivilen Seenotrettung mit 2 Millionen Euro, die aber vom Parlament ausging und schon letztes Jahr vom Bundestag beschlossen wurde. Der Betrag entspricht gerade einmal 0,3 Prozent des deutschen Budgets für humanitäre Hilfe.
Im Schnitt ertrinkt alle drei Stunden ein Mensch auf der Flucht im Mittelmeer, der tödlichsten Fluchtroute der Welt. SOS Humanity wird mit ihrem Anteil der 2 Millionen-Förderung dieses Jahr Leben retten können und Kinder, Frauen und Männer vor dem Ertrinken bewahren, aber gelöst wird die humanitäre und politische Katastrophe auf dem Mittelmeer damit nicht.“
Die zivile Seenotrettungsorganisation SOS Humanity fordert die Bundesregierung und die EU-Mitgliedsstaaten anlässlich dieser Treffen dazu auf, sich für eine humane und menschenrechtsbasierte Flüchtlingspolitik einzusetzen. Ihre Forderungen sind:
- Das Hinwirken auf ein EU-Seenotrettungsprogramm im zentralen Mittelmeer. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, sich hierfür einzusetzen. Europa muss für eine staatlich koordinierte, europäische Seenotrettung im Mittelmeer sorgen, der tödlichsten Fluchtroute der Welt. Internationales Seerecht und Menschenrechte müssen hierbei eingehalten werden.
- Beendigung der Zusammenarbeit mit Libyen und Tunesien, Einstellung der Finanzierung der sogenannten libyschen und der tunesischen Küstenwachen. Verstöße gegen das völkerrechtliche Nichtzurückweisungsgebot dürfen von der EU und ihren Mitgliedsstaaten nicht weiter gefördert und flüchtende Menschen nicht gewaltsam in das Land zurückgebracht werden, aus dem sie geflohen sind.
- Die schnellstmögliche Ausschiffung von aus Seenot geretteten Menschen ausschließlich an sicheren Orten, wie es das Seerecht vorschreibt. Weder Libyen noch Tunesien können als sicherer Ort für aus Seenot Gerettete gelten, da Gewalt, Diskriminierung und Menschrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind und kein Schutz für Flüchtende gewährleistet wird.
- Keine Entrechtung von Flüchtlingen in der EU durch die geplante Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Das individuelle Recht auf Asyl würde mit der im Juni geplanten Reform durch verschärfte Grenzverfahren und die Ausweitung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“ ausgehöhlt. Eine Zustimmung zur Krisenverordnung beim heutigen EU-Innenministertreffen würde zudem bedeuten, den schon bestehenden Ausnahmezustand und Rechtsbrüche an den EU-Außengrenzen rechtlich zu zementieren. Statt der geplanten GEAS-Reform fordert SOS Humanity ein neues und solidarisches System, das die Rechte und Würde von schutzsuchenden Menschen schützt.
- Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen sichere und legale Fluchtwege einrichten. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht. Eine weitere Abschottung Europas führt zu mehr Leid und Toten an den Außengrenzen der EU.
Für Rückfragen, Stellungnahmen oder Interviews wenden Sie sich bitte an Pressesprecherin Petra Krischok, presse@sos-humanity.org, +49 (0) 176 552 506 54.
Bild- und Videomaterial für redaktionelle Zwecke der Rettungseinsätze von SOS Humanity im Jahr 2023 finden Sie unter diesem Link. Bitte nennen Sie bei Verwendung Name Fotograf*in / SOS Humanity.