Neues Segelschiff für Rettungseinsatz im Mittelmeer

Fotomontage von einem Segelschiff mit der Aufschrift "Humanity 2"
Montage / SOS Humanity

Berlin, 16.09.2025. Mit dem Segelschiff Humanity 2 bringt die seit zehn Jahren aktive Seenotrettungsorganisation SOS Humanity ein zweites Rettungsschiff aufs zentrale Mittelmeer. Das rund 24-meter lange Segelschiff wird aktuell von SOS Humanity erworben und anschließend umgebaut. Die Humanity 2 soll ab Mitte 2026 vor der tunesischen Küste als Rettungs- und Beobachtungsschiff eine lebensgefährliche Lücke füllen.

„Die Fluchtrouten im Mittelmeer werden immer gefährlicher, weil die EU Drittstaaten dafür bezahlt, flüchtende Menschen abzufangen. Statt Leben zu retten, schottet sich Europa um jeden Preis ab und macht das Mittelmeer noch tödlicher“, sagt Till Rummenhohl, Geschäftsführer von SOS Humanity. „Das Seegebiet vor Tunesien weist eine lebensgefährliche Rettungslücke auf und ist geprägt von systematischen Menschenrechtsverletzungen durch die tunesische Küstenwache. Boote verschwinden spurlos, weil Luftaufklärung verhindert wird und die tunesische Leitstelle Rettungen nicht ordnungsgemäß koordiniert. Die Menschen fliehen in hochgefährlichen Metallbooten, die schnell sinken. Diese dramatische Realität zwingt uns zu handeln. Mit dem Segelschiff Humanity 2 werden wir vor Tunesien, dort, wo Europa versagt, Leben retten und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Unser Schiff ergänzt die Humanity 1, die vor Libyen im Einsatz ist. Wir können so mehr Menschen in Seenot zu Hilfe kommen und durch Aufklärung den Druck auf die Verantwortlichen erhöhen.“ 

Das Segelschiff liegt aktuell noch in einem Hafen an der französischen Küste, wird im November nach Sizilien überführt und soll ab Dezember in der Werft umgebaut werden. Für die Finanzierung ruf SOS Humanity nun zu Spenden auf.  

„Gerade nach der Streichung sämtlicher staatlicher Gelder durch die neue Bundesregierung brauchen wir die Unterstützung der Zivilgesellschaft mehr denn je“, betont Till Rummenhohl. „Wir sind der festen Überzeugung, dass der Großteil der Menschen in Europa weiterhin Schutzsuchende in Seenot im Mittelmeer nicht einfach ertrinken lassen will. Die Zivilgesellschaft hat unsere Rettung von über 39.000 Menschen in zehn Jahren ermöglicht und wird unsere lebensrettende Arbeit auch weiter unterstützen. Diese gelebte Solidarität und Menschlichkeit sollten der Politik ein Beispiel sein. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben es seit 2015 nicht geschafft, ein europäisches Seenotrettungsprogramm aufzusetzen, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Stattdessen machen sie sich mitschuldig an Menschenrechtsverbrechen und behindern gezielt die Arbeit der Seenotrettungsorganisation. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern, wir machen weiter, mit einem zweiten Schiff!“ 

Hintergrund Seegebiet vor Tunesien  Eskalation rassistischer Übergriffe 2023 löst Fluchtwelle aus  

Im Jahr 2023 flohen so viele Menschen aus Tunesien über das Mittelmeer nach Italien wie nie zuvor. Auslöser war unter anderem eine Hetzrede des tunesischen Präsidenten Kais Saied, in der er Schwarze Menschen aus Subsahara-Afrika für die wirtschaftliche Krise verantwortlich machte. Daraufhin kam es zur brutalen Verfolgung Schwarzer Menschen, Menschenrechtsverletzungen eskalierten. Zahlreiche Berichte belegen, dass seither Schwarze Menschen gejagt, verprügelt und ausgeraubt, Flüchtende von Uniformierten in der Wüste schutzlos ausgesetzt werden, wo viele verdursten.

Tödliches tunesisches Seegebiet  

Der tunesische Korridor ist eine zunehmend gefährliche Fluchtroute. Viele Menschen fliehen in seeuntauglichen, stark überbesetzten und grob zusammengeschweißten Metallbooten. Diese sind berüchtigt in Sekunden auseinanderzubrechen oder mit Wasser vollzulaufen und zu sinken. Durch ein weiträumige Flugverbotszone und dem Verbot von Satellitentelefonen bleiben Notfälle oft unbemerkt. Neben den zahlreichen gemeldeten Todesfällen gehen Menschenrechtsorganisationen von einer hohen Dunkelziffer bei Schiffsunglücken aus – die Boote samt den Menschen verschwinden spurlos und ohne Zeugen im Meer. So wird der tunesische Korridor zu einer der gefährlichsten und am wenigsten dokumentierten Fluchtrouten nach Europa. 

Externalisierung des Grenzmanagements, Abschottung um jeden Preis  

Seit dem EU-Tunesien-Abkommen und der von Europa unterstützten Einrichtung einer tunesischen Such- und Rettungszone und Rettungsleitstelle im Juni 2024 häufen sich zudem gewaltsame und teils tödliche Rückführungen von Flüchtenden durch die tunesische Küstenwache. Durch diese Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, Menschen von der Flucht nach Europa abzuhalten, wurden die Ankünfte Flüchtender aus Tunesien in Italien 2025 auf 3.210 in den ersten acht Monaten des Jahres reduziert. Abgesegnet von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IOM) ist die tunesische Rettungsleitstelle und Küstenwache seitdem offiziell verantwortlich für die Suche und Rettung von Seenotfällen in diesem Seegebiet. Im Auftrag der EU werden die Flüchtenden abgefangen und mit brutaler Gewalt nach Tunesien zurückgebracht. Weil Tunesien kein sicherer Ort für aus Seenot gerettete Menschen ist, verletzen diese Pull-backs internationales Seerecht. Trotz allem unterstützt die deutsche Bundesregierung die tunesische Küstenwache und Rettungsleitstelle finanziell und personell.    

Fortgesetzte Gewalt 2025 in Tunesien

Brutale Massenräumungen von Flüchtlingscamps, gewaltsame Deportationen an die lebensfeindlichen Grenzen in der Wüste Tunesiens, das Inhaftieren von NGO-Mitarbeitenden und Dissidenten sowie rassistische Gewalt durch staatliche Akteure und Zivilpersonen bestimmen die Lage in Tunesien. Trotz internationaler Kritik an diesen Menschenrechtsverletzungen setzt die tunesische Regierung ihre repressiven Maßnahmen an Land wie auch die gewaltsamen Rückführungen auf See fort, unterstützt durch die EU und die deutsche Bundesregierung.   

Forderungen von SOS Humanity zu Tunesien 

SOS Humanity fordert die deutsche Bundesregierung auf, die Zusammenarbeit mit Tunesien im Bereich der Seenotrettung zu beenden. 

Die EU und ihre Mitgliedstaaten dürfen nicht aktiv fördern, dass aus Seenot gerettete Menschen von der tunesischen Küstenwache nach Tunesien zurückgezwungen werden und sich somit an illegalen Rückführungen beteiligen. 

Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen die offizielle Anerkennung der tunesischen Such- und Rettungszone widerrufen, weil Tunesien kein sicherer Ort für aus Seenot Gerettete ist und die tunesische Rettungsleitstelle Seenotfälle nicht ordnungsgemäß koordiniert.