Jahresrückblick 2025
2025 war ein Jahr eskalierender Gewalt auf dem Mittelmeer durch von der EU finanzierte libysche Akteure. Aber es war auch das Jahr, in dem wir uns gemeinsam mit dreizehn Organisationen der Gewalt entgegengestellt und im Herbst die Allianz „Justice Fleet“ gegründet haben. Ein Jahr, in dem wir auf zehn Jahre Rettungsarbeit zurückschauen konnten. Und es war ein Jahr, in dem wir mit einem neuen Rettungsschiff ein Zeichen gesetzt haben:
Wir freuen uns, dass unser Segelschiff Humanity 2 nach umfassenden Umbauarbeiten im Sommer 2026 als neues Rettungs- und Beobachtungsschiff in den Einsatz gehen wird und wir dann mit zwei Rettungsschiffen auf unterschiedlichen Fluchtrouten Leben auf dem zentralen Mittelmeer retten zu können.
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2025 in Bildern:
Zehn Jahre im Einsatz
Seit zehn Jahren setzen wir uns dafür ein, dass Menschen nicht auf der Flucht ertrinken müssen. Im Mai und Juni 2025 haben wir erst bei einer eigenen und dann bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit anderen Organisationen auf die zehn Jahre zurückgeblickt, in denen wir auf dem Mittelmeer im Rettungseinsatz sind. In diesem Zeitraum haben wir beobachtet, wie sich die Situation dort immer weiter zuspitzt. Gerettete berichten von grausamen Menschenrechtsverletzungen während ihrer Flucht und auf See. Weil Such- und Rettungskapazitäten fehlen und zivile Schiffe aus dem Einsatzgebiet ferngehalten werden, ist niemand da, um diese Rechtsbrüche zu verhindern oder zu dokumentieren. Ein wichtiger Grund dafür, dass wir uns entschlossen haben, mit einem zweiten Rettungsschiff in den Einsatz zu gehen.
Ein zweites Schiff
In dem Seegebiet vor Tunesien ist ein toter Winkel entstanden. Dort kommt es zu systematischen Menschenrechtsverletzungen an Flüchtenden, es fehlen Rettungsmöglichkeiten und tödliche Schiffsunglücke bleiben meist unsichtbar. Während die großen Schiffe vor der Küste Libyens im Einsatz sind, wird SOS Humanity in diesem tunesischen Korridor künftig mit dem Segelschiff Humanity 2 vor Ort sein. Das Schiff ist flexibel, umweltfreundlich und effizient und kann Menschen in Seenot helfen und Menschenrechtsverletzungen dokumentieren. Ende 2025 hat SOS Humanity das Segelschiff gekauft und mit einem umfassenden Umbau zum Rettungsschiff begonnen. Im Sommer 2026 wird das Schiff in den Einsatz starten – Dank großer zivilgesellschaftlicher Unterstützung.
Viele Opfer im Oktober
Im Oktober rettete die Crew unseres Rettungsschiffs Humanity 1 bei ihrem 22. Einsatz 41 Menschen von einem seeuntauglichen Schlauchboot. Sieben weitere Personen mussten vermisst gemeldet werden. An Bord verstarb trotz Reanimation eine Person, eine weitere kollabierte und überlebte die Nacht nicht. Extreme Bedingungen für unsere Crew – und traurige Realität für sehr viele Menschen auf der Flucht. Der Oktober 2025 wurde insgesamt ein trauriger Monat: Zwar konnte Humanity 1 weitere 45 Menschen von einem Schlauchboot aus Seenot retten, doch mindestens 40 Menschen starben beim Untergang ihres Bootes vor der Küste Tunesiens. Dieser Schiffbruch ist eine der schwersten Schiffskatastrophen des Jahres.
Bündnis Justice Fleet
SOS Humanity wird Teil der Justice Fleet. Ziel der Allianz ist es, gemeinsam die Menschenrechte und das Völkerrecht sowie die humanitäre Arbeit auf hoher See zu verteidigen – denn all dies wird in Libyen, Italien und der EU in Frage gestellt und angegriffen. Die Justice Fleet bündelt dafür rechtliche, politische und öffentliche Strategien, um Such- und Rettungsaktionen vor illegalen Zurückweisungen und staatlichen Repressionen zu schützen. Mit 13 unterstützenden Organisationen, 14 Schiffen, einem Flugzeug und über 10.000 Aktivist*innen ist die Justice Fleet das größte Bündnis von nichtstaatlichen Such- und Rettungsorganisationen, die es je gab.
Festsetzung von Humanity 1
Im Dezember 2025 wurde zum ersten Mal ein Rettungsschiff der neu gegründeten Allianz „Justice Fleet“ festgesetzt, weil es die Einsatzkommunikation mit der libyschen Rettungsleitstelle verweigert hat: Unser Rettungsschiff Humanity 1. Italien hat die Festsetzung angeordnet, obwohl die erfahrene Besatzung ihre Rettungseinsätze in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht durchgeführt hat – während von der EU unterstützte libysche Akteure weiterhin ungestraft gegen internationales Recht verstoßen. 20 Tage durfte unser Schiff nicht auslaufen, um seine Such- und Rettungseinsätze durchzuführen. Zudem drohte eine Geldstrafe von 10.000 Euro. Wir haben rechtliche Schritte gegen die unrechtmäßige Festsetzung und die Behinderung unserer lebensrettenden Arbeit eingeleitet.
Politische Verschärfungen
Politisch schritten die Verschärfungen der Asyl-, Migrations- und Abschottungspolitik 2025 weiter voran. So einigten sich die EU-Innenminister darauf, dass Asylverfahren künftig an den EU-Außengrenzen in sogenannten Rückführungszentren abgefertigt werden sollen. Gleichzeitig wurde die Drittstaatenregel ausgeweitet: Mitgliedstaaten dürfen Asylanträge ablehnen, wenn Schutz in einem „sicheren“ Drittland theoretisch möglich ist. Eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsländer wurde erstellt, auf der sich unter anderem Tunesien befindet – ein extrem instabiles und unsicheres Land für Menschen auf der Flucht.
Bereits Mitte des Jahres hatte das CDU-geführte Auswärtige Amt zudem Gelder für zivile Seenotrettungsorganisationen gestrichen.
Tatort Mittelmeer
Im November 2025 war es wieder so weit: Die Lesung „Tatort Mittelmeer“ holte Stimmen vom Mittelmeer auf die Bühne. Bekannte Schauspieler*innen aus deutschen TV-Krimiserien lasen authentische Berichte und persönliche Erlebnisse von aus Seenot geretteten Menschen und Crewmitgliedern der Humanity 1. Sie rückten damit die anhaltende humanitäre Notlage sowie die im Namen Europas begangenen Menschenrechtsverletzungen für einen Abend ins Rampenlicht. Die Jubiläumsveranstaltung fand dieses Mal im Deutschen Theater in Berlin statt. Musikalisch begleitet wurde die szenische Lesung von Aeham Ahmad, dem palästinensisch-syrischen Pianisten und Träger des Internationalen Beethovenpreises für Menschenrechte. Über die große Resonanz, die vielen verkauften Tickets und die großherzigen Spenden haben wir uns sehr gefreut.
Prominente Unterstützung
Viel prominente Unterstützung gab es 2025 für unsere Winterkampagne: Unter dem Motto #SpendeMenschlichkeit unterstützten auch in diesem Jahr zahlreiche bekannte Prominente aus Kunst, Kultur und Sport die Rettungsarbeit von SOS Humanity. Mit ihren Portraits in Rettungswesten und Videostatements wiesen sie auf die Notwendigkeit der Seenotrettung im Mittelmeer hin. Unter anderem Jogi Löw, Heike Makatsch, Bjarne Mädel, Meret Becker, Ulrike Folkerts und die Band Milky Chance riefen zu Spenden für das neue Rettungsschiff von SOS Humanity auf, das Segelschiff Humanity 2.
Auch 2026 im Einsatz für Menschlichkeit
Auch nach dem ereignisreichen Jahr 2025 blicken wir weiter voller Hoffnung und Entschlossenheit in die Zukunft. Trotz und auch gerade wegen allem, das uns und der Seenotrettung in den Weg gestellt wird. Unser zweites Rettungsschiff, das Segelschiff Humanity, 2 ist bereits in der Werft und wird im Sommer 2026 auf der weitgehend unbeachteten Fluchtroute von Tunesien nach Lampedusa als Rettungs- und Beobachtungsschiff in den Einsatz gehen können. Die Hilfe, die wir dafür und für unsere Arbeit insgesamt erhalten, macht uns sehr stolz und zuversichtlich. Dank der breiten Unterstützung durch Partnerorganisationen, Prominente und vor allen durch die vielen engagierten Menschen in der Zivilgesellschaft werden wir auch 2026 im Einsatz sein können – für die Seenotrettung und für Menschlichkeit!