Interview mit HateAid

HateAid

Digitale Gewalt – Der offizielle Begriff für verschiedene Formen der Belästigung und Diskriminierung anderer Menschen im Internet – ist allgegenwärtig in der Arbeit von SOS Humanity. Neben vielen bestärkenden Kommentaren werden vermehrt Hass und Falschinformationen unter unseren Posts verbreitet, weshalb wir von HateAid seit 2021 beraten werden.

Die 2018 gegründete gemeinnützige Organisation HateAid berät Betroffene von digitaler Gewalt und setzt sich auf politischer Ebene für demokratische Grundrechte im digitalen Raum ein.

Wir haben die Betroffenenberaterin Kathi von HateAid zum Thema digitale Gewalt in Zusammenhang mit politischer Arbeit interviewt.

Eure Kampagne „Unser Internet“ wirbt dafür, dass wir uns das Internet zurückholen müssen. Gab es jemals ein Internet ohne Hass?

Ich glaube, dass es Hass und Gewalt leider schon immer gegeben hat. Durch die Kampagne wollen wir vor allem darauf aufmerksam machen, dass Menschenrechte auch digital gelten und dass User*innen das Recht haben, sich ohne Angst im Internet frei zu bewegen. Es geht uns darum, Straftaten angemessen zu verfolgen und vor allem, Tatpersonen Konsequenzen spüren zu lassen. Wir nehmen in unserer Beratung wahr, dass digitale Gewalt in den letzten Jahren zugenommen hat. Angreifende haben oft weniger Hemmungen, online Gewalt auszuüben als analog. Vermutlich, weil sie unmittelbare Reaktionen der anderen Person nicht sehen. Immer mehr digitale Gewalt, das kann fatale Folgen für unser gesellschaftliches Miteinander und die Demokratie haben. Wir haben letztes Jahr im Februar mit anderen Organisationen eine Studie mit dem Titel „Lauter hass, leiser Rückzug“ veröffentlicht, die erschreckenden Ergebnisse gezeigt hat: 57 Prozent der deutschen Internetnutzer*innen ab 16 Jahren haben angegeben, dass sie sich im Netz aus Angst vor digitaler Gewalt seltener zu ihrer politischen Meinung äußern.

Wie hängt digitale Gewalt mit aktuellen politischen Diskursen zusammen?

Vor allem seit der Corona-Pandemie verspüren Menschen mehr existenzielle Ängste und haben das Gefühl, sich in kollektiven Krisen zu befinden. Ich würde sagen, dass  die Menschen generell mehr Zeit zu Hause am Smartphone verbringen und gleichzeitig ist die politische Lage immer wieder sehr dynamisch. Wichtig zu erwähnen ist, dass sich analoge und digitale Welt nicht trennscharf auseinanderhalten lassen. Das ist eine Welt, in der wir leben, die sowohl eine digitale als auch eine analoge Dimension hat. Und das, was analog passiert, auch politisch, wird digital dargestellt und digital diskutiert. Debatten verlagern sich immer mehr ins Internet. Die sozialen Netzwerke sind also einer der wichtigsten Debattenräume unserer jetzigen Zeit.

 

Es kann nur ohne Hass und Diskriminierung einen regen, vielfältigen Diskurs geben.

Welche Personengruppen sind besonders betroffen von Gewalt im Netz?

Menschen, die einer marginalisierten Gruppe oder sogar mehreren marginalisierten Gruppen angehören, sind laut Studien am stärksten betroffen. Das sind in vielen Fällen Menschen, die auch im analogen Leben Gewalt und Diskriminierung erleben. Dazu gehören z. B. Personen mit einem sichtbaren Migrationshintergrund, junge Frauen und Menschen mit homosexueller oder bisexueller Orientierung. Das hat ebenfalls die Studie „Lauter Hass, leiser Rückzug“ aus dem letzten Jahr gezeigt. Und auch  bildbasierte sexualisierte Gewalt ist eine häufig werdende Form digitaler Gewalt. Sie umfasst z. B. gegen den Willen der abgebildeten Personen veröffentlichte intime Bilder, aber auch das Versenden von Dickpics oder das unerlaubte Erstellen und Verbreiten KI-generierter, gefälschter Nacktaufnahmen. Von dieser Form digitaler Gewalt sind fast ausschließlich Frauen betroffen. Laut Studie hat fast jede zweite Frau, also 42 Prozent, bereits ungefragt ein Nacktfoto erhalten.

Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass prinzipiell natürlich alle Menschen von digitaler Gewalt im Netz betroffen sein können, aber manche trifft es stärker und auf besondere Weise.

Wie beratet ihr Betroffene, die sich an euch wenden?

Die emotional stabilisierende Beratung ist die erste und auch umfangreichste Säule unserer Beratungsarbeit. Da schauen wir, was die Person braucht, um wieder handlungsfähig zu sein und um eine Entscheidung zu treffen, die sich für die Person in dem Moment gut und richtig anfühlt. Außerdem bieten wir Sicherheitsberatung an. Da schauen wir, wie wir die Sicherheit einerseits im Analogen, anderseits im Digitalen erhöhen können. Die dritte Säule ist die Kommunikationsberatung, wo wir Unterstützung bieten, wenn eine Person z. B. ein Statement veröffentlichen, Gegenrede betreiben oder der Tatperson eine Nachricht schreiben möchte. Außerdem bieten wir in Einzelfällen Prozesskostenfinanzierung an. Wir schauen basierend auf unserer Erfahrung, ob wir den Fall an eine kooperierende Anwaltskanzlei weiterleiten und dann etwaige Kosten übernehmen können. Im Umkehrschluss ist es so, dass wenn etwa Schadensersatz entsteht, dieser bei uns in einem Fond landet und wir aus diesem Fond wieder neue Fälle finanzieren.

Was wünscht ihr euch konkret von der Politik, um gegen digitale Gewalt vorzugehen?

Auf der einen Seite, dass die Social-Media-Plattformen im Umgang mit digitaler Gewalt stärker zur Verantwortung gezogen werden. Politik und Justiz müssen Betroffene ernst nehmen und digitale Gewalt als ernstes Problem anerkennen, um sie dann strafrechtlich konsequent zu verfolgen. Denn: Das beste Gesetz hilft nicht, wenn es nicht durchgesetzt wird.

Was sind denn Maßnahmen gegen digitale Gewalt, die politische Organisationen, also auch wir als Seenotrettungsorganisation, umsetzen können?

Erstmal ist für Betroffene wichtig, Beweise in Form rechtssicherer Screenshots zu sammeln. Dabei sollte man ein paar Dinge beachten: Datum und Uhrzeit, wann der Screenshot erstellt wurde, müssen dokumentiert sein. Aber auch:  Datum und Uhrzeit, wann der hasserfüllte Inhalt gepostet wurde. Dann ist es noch wichtig, die Inhalte oder gegebenenfalls die Accounts über die Plattform selbst zu melden. Als Organisation kann es auch hilfreich sein, eine Netiquette, sprich ein Regelwerk, aufzustellen, auf das man sich beziehen kann, wenn man in den eigenen Kommentarspalten moderieren und Gegenrede leisten möchte. Außerdem gibt es die Möglichkeit rechtliche Schritte einzuleiten. Inhalte können bspw. bei der Polizei gemeldet werden. Das ist auch über Online-Anzeigen bei der Polizei möglich.

Was setzt du der Aussage entgegen, dass digitale Gewalt unvermeidlich ist, wenn man sich politisch im Internet äußert?

Meinungs- und Pressefreiheit sind natürlich ein super hohes Gut und genau wie Vielfalt für unsere Demokratie sehr wichtig. Es kann nur ohne Hass und Diskriminierung einen regen, vielfältigen Diskurs geben. Ich finde dabei auch immer wichtig, den analogen Bereich mitzudenken. Auch da können wir auf Augenhöhe diskutieren und Debatten führen, ohne gewaltvoll zu sein. Ich würde mir wünschen, dass das so auch in der digitalen Welt funktioniert.

 

[Das Interview wurde am 07.01.2025 von Ilka Lühling und Annika Meyer durchgeführt und aufgezeichnet.]

Newsletter Abonnieren
Die Datenschutzerklärung wird mit der Registrierung zur Kenntnis genommen.
Kontakt

SOS Humanity e.V.
Postfach 440352
12003 Berlin

kontakt@sos-humanity.org
+49 3023525682

Spendenkonto

SOS Humanity e.V.

IBAN: DE04 1005 0000 0190 4184 51
BIC: BELADEBEXXX

Transparenz

Copyright 2025 – SOS Humanity