Frauenpower im Rettungseinsatz

Fünf Frauen in SOS T-Shirts im Gespräch an Bord des Rettungsschiffes Humanity 1.
Danilo Campailla / SOS Humanity

Die Crew bei dem 7. Rettungseinsatz-Zyklus (Rotation) der Humanity 1 war zum ersten Mal mehrheitlich weiblich besetzt. Wir sprachen mit der ausschließlich weiblichen RHIB-Crew an Bord des schnellen Rettungsbootes (RHIB) „Bravo“. Viviana, die Such- und Rettungskoordinatorin, Anne, die kulturelle Mediatorin, Olive, die RHIB-Fahrerin, und Sarah, die RHIB-Koordinatorin sprechen über die Arbeit in einer rein weiblichen Besatzung im Einsatz, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit männlichen Kollegen und über die Vorurteile, die gegenüber Frauen in der Seefahrt immer noch bestehen.

Ich sehe hochgestreckte Hände und ein breites Lächeln angesichts der Tatsache, dass ihr ein reines Frauenteam auf „Bravo“ hattet. Wie war diese Erfahrung für euch?

Anne: Das war meine erste Such- und Rettungserfahrung. Aber ich habe mich bei den Trainings und den Rettungseinsätzen in diesem Team super sicher gefühlt.

Sarah: Schon beim Vorstellungsgespräch wurde mir gesagt, dass ich in einer rein weiblichen RHIB-Crew sein werde und ich war super aufgeregt. Aber auf dem RHIB habe ich den Unterschied nicht gespürt, denn es hat einfach alles super funktioniert, wir haben gut als Team zusammengearbeitet.

Olive: Ja, da stimme ich zu. Ich habe keinen großen Unterschied in Bezug auf das Arbeitsumfeld gespürt, weil wir alle Profis sind. Aber worüber wir sprachen und wie wir uns gegenseitig unterstützten – das war anders. Mit männlichen Kollegen herrscht manchmal eher ein Konkurrenzkampf: Wer macht das schönere Manöver oder wer fährt ein bisschen besser?

RHIB Crew mit gelben Helmen auf einem Schnellboot zusammen mit Geretteten
Danilo Campailla / SOS Humanity

Warum ist eine rein weibliche RHIB-Crew immer noch etwas Ungewöhnliches?

Viviana: Wir alle sind nur Menschen, und wir haben Vorurteile. In den sechs Jahren, in denen ich für Seenotrettungsorganisationen gearbeitet habe, war dies das erste Mal, dass ich nur mit Frauen gearbeitet habe. Aber ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit habe, mit diesen Frauen zusammenzuarbeiten, die so engagiert und hochqualifiziert sind – und sehr stark. Körperlich stark, aber vor allem auch emotional stark – mit Hirn und Herz. Ich glaube, dass wir alle diese Art von Stärke haben, manchmal mehr als Männer.

Anne: Ein männliches Mitglied der Crew an Bord der Humanity 1 sagte mir, dass er etwas besorgt über eine Crew war, in der die meisten Mitglieder weiblich sind. Aber nach einiger Zeit der Zusammenarbeit musste er zugeben, dass es ziemlich gut funktioniert.

Olive: Wir haben bewiesen, dass wir auch in der Lage sind, uns um alle technischen Dinge auf einem RHIB zu kümmern. Wir sind in der Lage, ein RHIB aufzutanken, es aufzupumpen…

In einem reinen Frauenteam muss man nicht beweisen, dass man seinen Job wirklich beherrscht [...], dass man stark genug ist, einen Sack mit Rettungswesten hochzuheben.

Habt ihr Erfahrungen als Frauen in der Seefahrt gemacht, die ihr teilen möchtet?

Olive: Ich komme aus der kommerziellen Schifffahrt, wo ich normalerweise immer die einzige Frau an Bord war.

Anne: Ich sehe einen Trend bei den Such- und Rettungsorganisationen. Mehr weibliche Ingenieurinnen und mehr weibliche Kapitäninnen kommen zu Such- und Rettungseinsätzen. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen.

Viviana: Als ich an Bord der Aquarius anfing, war ich ein Jahr lang die einzige Frau im Such- und Rettungsteam. Das änderte sich langsam, und man erkannte, dass es gut für die Kommunikation und das Teambuilding ist, weibliche Crewmitglieder zu haben. Jetzt habe ich sogar die Möglichkeit, eine RHIB-Crew zu leiten.

Olive: Ich habe auch schon einmal ein RHIB-Team geleitet – nicht von der Humanity 1. Aber ich war die einzige Frau im Such- und Rettungsteam. Das war hart. In einem reinen Frauenteam muss man nicht beweisen, dass man seinen Job wirklich beherrscht. Man kann sich auf wichtigere Dinge konzentrieren. Zum Beispiel kann man sich auf das Training konzentrieren und muss nicht beweisen, dass man stark genug ist, einen Sack mit Rettungswesten hochzuheben.

Viviana: Ich bin außerdem Mutter und habe zwei Kinder. Und ich glaube, das ist auch jetzt noch vorurteilsbehaftet. Es gibt nicht viele Frauen, die an Bord arbeiten und Kinder haben. Ich weiß, dass es schwierig ist und wir Unterstützung brauchen, aber es ist möglich. Und meine Kinder sind sehr stolz auf das, was ich tue.

Drei weibliche Crewmitglieder - eine mit hochgestrecktem Arm - sind auf einem Schnellboot von SOS Humanity zu sehen.
Danilo Campailla / SOS Humanity

Was müsste sich ändern, damit die Welt der Seefahrt und auch die Besatzungen von NGO-Schiffen weiblicher werden?

Sarah: Ich denke, eine wichtige Sache, um Veränderungen zu erreichen, ist es, zu repräsentieren und das Bewusstsein zu schärfen. Wir sollten von der eigenen Arbeit erzählen und eine Art Vorbild für andere Frauen oder für junge Mädchen sein, die nicht wissen, was sie beruflich machen wollen, wenn sie erwachsen sind.

Viviana: Das Ziel ist es nicht, immer ein RHIB voller Frauen zu haben. Wir wollen ein RHIB voller qualifizierter Menschen, egal welchen Geschlechts.

Vier weibliche RHIB-Crew-Mitglieder an Bord der Humanity 1 mit gelben Helmen in der Hand.
Danilo Campailla / SOS Humanity

Olive: Ich möchte nicht immer als eine Frau, die auf See arbeitet, gesehen werden. Ich möchte einfach nur als Seefahrerin gesehen werden. Aber gleichzeitig wird jeder Fehler, den man als Frau an Bord macht, als Versagen aller Frauen angesehen, die an Bord arbeiten. Wenn man hingegen als Mann einen Fehler macht, wird das als Versagen dieser speziellen Person angesehen. Es ist also manchmal wirklich schwer, nicht aufzugeben. Aber es ist ein großartiges Gefühl, an Bord eines Schiffes wie diesem zu sein, wo so viele Frauen an Bord sind.

Welche Veränderungen würdest du dir für die Besatzung von SOS Humanity wünschen?

Olive: Ich denke, es ist nicht nur wichtig, dass es eine geschlechtsspezifische Vielfalt gibt, sondern auch eine Vielfalt in Bezug auf alle anderen Aspekte wie Alter, Hautfarbe und so weiter.

Viviana: Wir haben viele Menschen an Bord der Humanity 1, die aus vielen Teilen der Welt kommen, und das ist eine großartige Entwicklung. Aber was ich mir für die Zukunft wirklich wünsche, ist eine weibliche Kapitänin.

 

Das Interview führte Camilla Kranzusch, Koordinatorin für  Kommunikation, an Bord der Humanity 1 im August 2023
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