Humanity 2: Ein Segelschiff für Menschenrechte

Till Rummenhol ist Geschäftsführer von SOS Humanity. Als solcher bringt er sein Wissen aus dem Studium der Meerestechnik und des Schiffbaus sowie seine langjähriger Erfahrung in der zivilen Seenotrettung bei SOS Humanity ein.
Im folgenden Interview erklärt Till, warum die zivile Flotte ein weiteres Schiff braucht und wie SOS Humanity die Umsetzung plant.
SOS Humanity möchte ein zweites Schiff in den Einsatz schicken, wie kommt es dazu?
Es gibt weiterhin zu wenige Rettungsschiffe im zentralen Mittelmeer. Zudem ist ein großer Teil der zivilen Schiffe wegen Behinderungsmaßnahmen der italienischen Behörden, wie die Zuweisung weit entfernter Häfen oder Festsetzungen, weniger im Rettungseinsatz als nötig. Vor allem das Seegebiet vor Tunesien, der sogenannte tunesische Korridor, ist ein Teil des Mittelmeers, in dem Vorkommnisse weitgehend unbekannt bleiben: Seenotfälle und -unglücke, gewaltsame und rechtswidrige Rückführungen und damit verbundene Menschenrechtsverletzungen. Vor allem dort soll das neue Schiff Humanity 2 im Einsatz sein.
Warum ausgerechnet ein Segelschiff?
Ein großes Segelschiff kann in der Seenotrettung besonders effizient eingesetzt werden: Als Rettungs- und Beobachtungschiff ist es ist kostengünstig, umweltfreundlich, fast dauerhaft und zudem flexibel einsetzbar. Durch die Ausschiffung von Geretteten im nahen Lampedusa entfallen die langen Wege zu entfernten Häfen. Das bedeutet weniger Kosten für Treibstoff aber vor allem eine schnelle Rückkehr in den Einsatz – dort, wo Hilfe für Menschen in Seenot dringend gebraucht wird.
Wo soll das neue Segelschiff Humanity 2 im Rettungseinsatz sein – und warum gerade dort?
Die Humanity 2 soll vor allem in dem weitgehend unbeachteten Seegebiet vor Tunesien im Einsatz sein. Die Crew wird dort retten sowie Menschenrechtsverletzungen bezeugen und dokumentieren. In dem sogenannten tunesischen Korridor sind die großen Rettungsschiffe nicht präsent, die vielmehr die langgestreckte Küste vor Libyen nach Seenotfällen absuchen. Doch in diesem tunesischen Korridor zwischen Tunesien und Lampedusa summieren sich die Seenotfälle von Booten, die entweder in Tunesien oder im Westen Libyens aufgebrochen sind. Diese bleiben meist unbeachtet, wie auch die Menschenrechtsverletzungen die sich dort abspielen. Das wollen wir mit dem Segelschiff Humanity 2 ändern.

Warum ist das Seegebiet vor Tunesien so gefährlich für Menschen auf der Flucht?
Der tunesische Korridor gilt als besonders gefährlich, weil viele Menschen – vor allem diejenigen, die aus Tunesien fliehen – auf seeuntauglichen Booten versuchen, Lampedusa zu erreichen. Diese können innerhalb von Sekunden sinken, sobald Wasser eindringt. Zudem sind Satellitentelefone in Tunesien verboten, sodass Notfälle kaum gemeldet werden können. So bleiben viele Unglücke unbemerkt. Seit der Einrichtung einer tunesischen Such- und Rettungszone im Juni 2024 ist außerdem das Risiko gewaltsamer Rückführungen durch die tunesischen Behörden stark gestiegen. Hierbei werden laut Augenzeug*innenberichten vielfach Menschenrechte massiv verletzt, was kaum beobachtet und dokumentiert wird.
Wann wird das Segelschiff in den Rettungseinsatz starten?
Nach der Überführung nach Sizilien wird das Segelschiff in der Werft von Licata zum Rettungsschiff umgebaut. Als Humanity 2 wird es so umgebaut, dass es über 100 Menschen aus Seenot aufnehmen kann und diese, auch in einer kleinen Bordklinik, mit dem Nötigsten versorgen kann. Der Umbau, der im November 2025 beginnt, wird einige Monate dauern. Im Frühjahr 2026, spätestens im Juni, soll die Humanity 2 einsatzbereit sein.
Wie plant ihr die zusätzlichen Kosten für Anschaffung und Umbau zu finanzieren?
Wir bezahlen für die Humanity 2 etwas mehr als 725.000 Euro. Die Vorbesitzenden sind uns dabei entgegengekommen. Der Umbau und die Ausstattung des Segelschiffes wird voraussichtlich rund 170.000 Euro kosten. Hierbei werden viele ehrenamtlich helfende Hände unterstützen. Die Finanzierung ist nicht einfach, aber wir sind überzeugt, dass die Zivilgesellschaft auch für dieses dringend benötigte Rettungsschiff und den weiteren Einsatz unseres großen Rettungsschiff Humanity 1 einstehen wird – auch mit finanzieller Unterstützung. Denn Leben retten ist Pflicht!

Und euer erstes Schiff Humanity 1?
Der Betrieb beider Schiffe gleichzeitig wird eine finanzielle Herausforderung, der wir uns jetzt optimistisch und mit großer Energie stellen. Als kleine NGO mit vergleichsweise geringen Verwaltungskosten bleibt unser Gesamtbudget auch für zwei Rettungsschiffe immer noch sehr überschaubar – mit großer Wirkung: SOS Humanity hat in drei Jahren Einsatz mit der Humanity 1 über 4.600 Menschen aus Seenot gerettet. Mit dem zusätzlichen Segelschiff Humanity 2 können wir mehr Menschen retten und mehr Sichtbarkeit für die humanitäre Notlage und Rechtsbrüche auch in dem unbeachteten tunesischer Korridor schaffen.
Interview geführt und bearbeitet von Juliane, Praktikantin im Bereich der Online Kommunikation.