Suchen und Retten aus fünf Blickwinkeln
Eine Fotostrecke über das Leben an Bord der Humanity 1
Max Cavallari, Raphael Schumacher, Nicole Thyssen, Maria Giulia Trombini und Joshua Wedler und waren bei den jüngsten Einsätzen im zentralen Mittelmeer Teil der Crew an Bord der Humanity 1. Ihre Fotos wurden zwischen Dezember 2022 und Juli 2023 aufgenommen und zeigen verschiedene Blickwinkel und Perspektiven von Rettungseinsätzen.
Ein erster Blick
Die Einschiffungszone
Da, wo eine Rettungsaktion beginnt und endet, kann es sehr hektisch werden.
Wenn ein in Not geratenes Boot gesichtet wird, bereiten sich die Besatzungsmitglieder im Einschiffungsbereich auf die Rettung vor. Sie erhalten letzte Informationen und Anweisungen vom Such- und Rettungskoordinator, bevor sie mit den schnellen Rettungsbooten (RHIBs) – Bravo und Tango – in Richtung des Notfalls ablegen.
Die RHIB-Crew nähert sich dann dem Boot, nimmt Kontakt zu den Menschen auf und verteilt Rettungswesten, bevor sie die Überlebenden an Bord nimmt. Tango hat eine Rettungskapazität von 12 Personen, während Bravo mehr als 20 Personen aufnehmen kann.
Wenn die RHIB-Crews zurückkehren, tun sie dies mit Menschen, die gerade vor Gewalt, Folter und unmenschlichen Bedingungen in Libyen und Tunesien geflohen sind, von wo aus die meisten Boote abfahren. Diese Menschen dann an Bord der Humanity – oft in einem erschöpften Zustand, manchmal krank und dehydriert, aber alle voller Hoffnung, mit Träumen und dem Wunsch nach einem Leben in Würde.
Ein Ort für Vieles - Das Achterdeck
Die ersten Stunden an Deck nach einer Rettung sind meist ruhig. Wenn die Überlebenden an Bord kommen, werden sie zunächst registriert und dann mit trockener Kleidung, einer Decke und Hygieneartikeln versorgt. An Bord des Schiffes sind die Ressourcen begrenzt und jede einzelne Aktivität wird vom Wetter bestimmt. Trotz dieser Bedingungen tut die Besatzung ihr Bestes, um sich um die Überlebenden zu kümmern.
Für Frauen und Kinder – die am meisten gefährdete Gruppe unter den Geretteten – gibt es einen Schutzraum, der nur für sie vom Achterdeck aus zugänglich ist. Ab dem Tag nach einer Rettung versucht die Besatzung, einen Tagesablauf an Bord zu etablieren. Die Tage an Bord beginnen immer mit einem Frühstück um 9 Uhr und einer anschließenden Morgenbesprechung, bei der aktuelle Informationen ausgetauscht und für die Überlebenden wichtige Punkte angesprochen werden können. Mittags und abends gibt es zwei warme Mahlzeiten, die auf dem Hauptdeck serviert werden.
An Bord der Humanity 1 nehmen Überlebende und Besatzung das gleiche Essen am gleichen Ort ein. Am Nachmittag sind die Freizeitaktivitäten gut besucht. Das Achterdeck kann gleichzeitig in einen Friseursalon, einen Sportbereich oder ein Klassenzimmer für Italienischunterricht umgewandelt werden – und im weiteren Verlauf der Mission wird es zu einem Ort der vielfältigen menschlichen Begegnungen.
Vorerst sicher - Der Schutzraum
Der von Wärmelampen gewärmte und von Wetterschutzplanen umgebene Shelter-Bereich auf dem Bootsdeck ist einer der Hauptaufenthaltsorte für die Überlebenden an Bord der Humanity 1. Hier fühlen sich viele zum ersten Mal seit langem wieder sicher.
Dieser Unterschlupf bietet den Geretteten ein Maß an Sicherheit, das in ihren Heimatländern, in die sie vor Krieg, Armut oder Verfolgung geflohen sind, oft nicht gegeben ist. Sicherer als in Libyen oder Tunesien – Transitländer, in denen sie die letzten Wochen, Monate oder Jahre verbracht haben und Folter, (sexueller) Gewalt und Rassendiskriminierung ausgesetzt waren. Sicherer als die seeuntüchtigen Boote, in denen sie dem Schrecken ihrer Vergangenheit zu entkommen versuchten und oft mehrere Tage auf dem offenen Meer verbrachten.
Trotz alledem befinden sich diese Menschen auch hier in dieser Notunterkunft noch immer in einer Notsituation, bis sie an einem sicheren Ort an Land gehen können. An Bord können nur die Grundbedürfnisse befriedigt und medizinische und psychologische Erste Hilfe geleistet werden. Nach der ersten Ruhepause kann sich bei vielen Überlebenden ein Moment der Erkenntnis einstellen. Die Freude kann einer inneren Leere weichen, gefangen zwischen ihrer oft schrecklichen Vergangenheit und der ungewissen Zukunft in Europa. Außerdem schlafen die Menschen in den Unterkünften auf dem Boden, wo sie Wind und Wetter ausgesetzt sind.
Je nach der Gesamtzahl der geretteten Menschen kann es an Deck sehr eng werden, was die Gefahr von Konflikten zwischen den verschiedenen Gruppen von Überlebenden erhöht. Aber im Moment sind sie in Sicherheit.
Alles im Blick
Die Suchstation
Beim ersten Auftauchen könnte der dunkle Punkt am Horizont alles Mögliche sein.
Wenn man näherkommt, kann man die Umrisse eines länglichen Objekts im Wasser erkennen. Gummiboote liegen meist flach auf der Wasserlinie, wirken starr und können bei Sturm schnell auseinanderbrechen. Holzboote bewegen sich viel in den Wellen, aber sie können leicht kentern, vor allem wenn sie überfüllt sind und einen hohen Schwerpunkt haben. Metallboote liegen flach im Wasser, und schon bei kleinsten Wellen können sie sich innerhalb von Minuten mit Wasser füllen und sinken, wobei Dutzende von Menschen ums Leben kommen. Wenn man die Köpfe über den Bootsrand ragen sieht, weiß man, dass man schnell handeln muss.
Von den 26 Booten, die bisher von Humanity 1 gerettet wurden, wurden 10 von Besatzungsmitgliedern gesichtet, die nur ein Fernglas oder eine Suchkamera an Bord hatten, ohne dass zuvor ein Notruf eingegangen war. Die übrigen Notfälle wurden über Funk oder per E-Mail gemeldet, häufig von Organisationen der Zivilgesellschaft wie Sea Watch oder Pilotes Volontaires, die Überwachungsflugzeuge betreiben. Als Schiff, das sich in der Nähe eines in Not geratenen Bootes befindet, ist der Kapitän laut Gesetz verpflichtet, sich der gemeldeten Position zu nähern und Hilfe zu leisten.
Leider kann die Humanity 1 nicht immer als erste vor Ort sein. Bei einem Vorfall im Dezember 2022 näherte sich ein Schiff der sogenannten libyschen Küstenwache einem in Seenot geratenen Schlauchboot und zwang die ca. 50 Menschen an Bord gewaltsam, ihr Patrouillenboot zu betreten – und das alles vor den Augen von Humanity 1. Die Flüchtlinge wurden geschlagen, ausgeraubt und mit Maschinengewehren bedroht, bevor sie nach Libyen zurückgebracht wurden. Dieser so genannte Rückzug ist eine grausame und illegale Aktion und verstößt gegen das Seerecht, das eindeutig besagt, dass Menschen in Not gerettet und an einen sicheren Ort gebracht werden müssen. Libyen, ein vom Krieg verwüstetes Land, in dem unschuldige Menschen in Internierungslagern festgehalten werden, kann nicht als sicher gelten.