Libysches Patrouillenboot bedroht Rettungscrew und Menschen in Seenot

Menschen im Wasser zwischen hohen Wellen
Alessio Cassaro / SOS Humanity

Berlin, 04.03.2024. Am Samstag, den 2. März wurde die Crew des zivilen Rettungsschiffes Humanity 1 auf dem zentralen Mittelmeer mehrfach von der sogenannten libyschen Küstenwache bedroht. Ebenso wurden die Flüchtenden in Seenot unter Waffengebrauch bedroht, als die Besatzung sie in internationalen Gewässern zu retten versuchte. Am Samstagnachmittag konnte die Crew der unter deutscher Flagge fahrenden Humanity 1 aus drei Booten in Seenot insgesamt 77 Menschen retten, trotz des gewaltsamen und rechtswidrigen Eingreifens der sogenannten libyschen Küstenwache. Zahlreiche Menschen sprangen in Panik ins Wasser, die sogenannte libysche Küstenwache gab einen Schuss ins Wasser ab. Nach Angaben der Überlebenden wurde ein Mensch von dem libyschen Patrouillenboot zurückgelassen und ertrank mit hoher Wahrscheinlichkeit. 

„Es ist unfassbar zu erleben, wie diese sogenannte Küstenwache, finanziert von der EU und Italien, geltendes Recht bricht und brutal Menschenleben gefährdet. Diese Unterstützung hat am Samstag dazu geführt, dass mindestens eine Person ertrunken ist, zahlreiche Menschen gefährdet und rund zwanzig völkerrechtswidrig nach Libyen zurückgezwungen wurden. Das Patrouillenboot, das unseren Rettungseinsatz mit Waffengewalt unterbrach, war offenbar eines der beiden Schiffe, die in der zweiten Jahreshälfte 2023 von der EU finanziert und geliefert wurden“, sagt Laura Gorriahn, Vorstandsvorsitzende von SOS Humanity, die bei dem Rettungseinsatz ehrenamtlich als Menschenrechtsbeobachterin an Bord ist. „Als Migrationswissenschaftlerin weiß ich um die Völkerrechtsbrüche auf dem zentralen Mittelmeer, die von der EU im Sinne ihrer menschenverachtenden Abschottungspolitik gefördert werden, in der Theorie und aus Berichten. Diese nun selbst zu bezeugen hat mich zutiefst schockiert“.

Der Humanity 1 wurde von den italienischen Behörden, die vom Kapitän der Humanity 1 über die Vorgänge laufend und umfassend unterrichtet worden waren, wurde zunächst der weit entfernte Hafen von Bari als Ort für die Ausschiffung der 77 Überlebenden zugewiesen. Weil auf der Route ein Sturm vorhergesagt wurde und der Kapitän aufgrund von Sicherheitsrisiken für das Schiff, die Überlebenden sowie die Crew mehrfach nach einem nähergelegenen Hafen anfragte, wurde schließlich am frühen Sonntagabend das näher gelegene Crotone zugewiesen. Das internationale Seerecht schreibt die schnellstmögliche Ausschiffung an einem sicheren Ort für aus Seenot Gerettete vor.

„SOS Humanity fordert, dass die Finanzierung, Ausbildung und Ausrüstung der sogenannten libyschen Küstenwache durch die Europäische Union und Italien sofort gestoppt werden. Es ist ungeheuerlich, dass mit Steuergeldern europäischer Bürgerinnen und Bürger ein Akteur gefördert wird, der Menschen in Not sowie Helfende bedroht und scharf schießt. Wir appellieren an die EU-Mitgliedsstaaten, endlich ein EU-Seenotrettungsprogramm auf dem zentralen Mittelmeer einzurichten, das die Einhaltung von Seerecht und Menschenrechten sicherstellt – wie die Bundesregierung es in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hat“, so Laura Gorriahn von SOS Humanity.

Die Crew der Humanity 1 hat die bezeugten Straftaten und Rechtsbrüche dokumentiert und für die Medien hier zusammengestellt (Fotos, Videos, Audio und weitere Dokumente). Die detaillierte Chronologie der Ereignisse veröffentlichen wir heute im Laufe des Tages in unserem Einsatzbericht auf der Webseite.

Menschen im Wasser zwischen hohen Wellen
Alessio Cassaro / SOS Humanity
Die Ereignisse vom Samstag im Überblick
Die erste Bedrohung der Crew der Humanity 1

fand Samstagmittag in internationalen Gewässern vor Tunesien statt. Die Crew der Humanity 1 bezeugte einen rechtswidrigen Pull-back durch ein Patrouillenboot des Typs Corrubia der sogenannten libysche Küstenwache aus einer Entfernung von rund fünf Kilometern. Das Aufklärungsflugzeug Seabird 2 (Sea-Watch) hatte gemeldet, dass sich rund zehn Menschen im Wasser befanden. Das Rettungsschiff Humanity 1 bot wiederholt Unterstützung an und machte der sogenannten libyschen Küstenwache gegenüber deutlich, dass eine Rückführung der Flüchtenden nach Libyen gegen Völkerrecht verstoße, wie zuletzt durch ein Gericht in Italien erneut bestätigte. Über Funk wurde die Besatzung der Humanity 1 von dem libyschen Patrouillenboot mit Beschuss bedroht und aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Aufgrund der akuten Bedrohung durch Waffengewalt entfernte sich das Schiff Humanity 1 vom Einsatzort.

Die zweite Gefährdung

ereignete sich etwas später am Nachmittag, nachdem der Crew ein Boot in Seenot gemeldet wurde. Als das Rettungsschiff eintraf, entdeckte die Crew zwei weitere Boote in Seenot in unmittelbarer Nähe zueinander. Nachdem die Besatzung bereits mit der Rettung begonnen hatte, kam dasselbe libysche Patrouillenboot des Typs Corrubia hinzu und störte den Rettungseinsatz massiv. Als sich ein kleines Schnellboot der sogenannten libyschen Küstenwache mit einem Maschinengewehr näherte, gerieten die Menschen in Panik, viele sprangen ins Wasser oder fielen bei den gefährlichen Manövern des Patrouillenboots hinein. In dieser Situation feuerte die sogenannte libysche Küstenwache einen Schuss ins Wasser ab, zwischen den Menschen in den Wellen und den schnellen Rettungsbooten (RHIBs) der Humanity 1. Das zivile Aufklärungsflugzeug Seabird 2 bezeugte diese Situation aus der Luft. Trotz der chaotischen Situation gelang es dem Rettungsteam von SOS Humanity, insgesamt 77 Menschen von den drei Booten auf das Rettungsschiff zu bringen. Sie berichteten, dass mindestens ein Mensch von der sogenannten libyschen Küstenwache im Wasser zurückgelassen worden sei. Es ist daher davon auszugehen, dass mindestens eine Person ertrank. Die 77 Überlebenden, darunter einige Minderjährige, waren stark unterkühlt, aber unverletzt.

Eine genaue Chronologie der Ereignisse wird am Montag auf der Website von SOS Humanity veröffentlicht. Dokumentationsmaterial zu den beschriebenen Ereignissen finden Sie  unter folgendem Link.

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