Redebeitrag Stop-GEAS-Aktionstag, 26.11.2023

Lisa aus dem Vorstand von SOS Humanity mit einer Jacke und schwarzer Mütze und einem roten Mikro bei der GEAS Demo in Berlin.
Wanda Proft / SOS Humanity

Lisa Bogerts aus dem Vorstand von SOS Humanity hält bei der Demonstration „STOP GEAS“ am 26. November 2023 in Berlin eine Rede.

Sie waren erschöpft und angespannt, als sie endlich in Italien an Land gehen durften. Die Menschen an Bord der Humanity 1 hatten gerade die lange und gefährliche Fahrt über das zentrale Mittelmeer überlebt – der tödlichsten Fluchtroute der Welt. Bevor wir sie fanden und an Bord unseres Such- und Rettungsschiffs Humanity 1 nehmen konnten, waren sie bis zu drei Tage in kleinen Booten unterwegs, auf offener See, ohne Rettungswesten und genug Benzin. Ich war im Oktober an Bord des Schiffs, als es diesen Menschen aus Syrien, dem Sudan und anderswo her gelang, den harten Bedingungen in ihren Ländern und in Libyen zu entkommen, wo sie bis zur Überfahrt hatten ausharren müssen.
Aber meine Erleichterung hielt sich in Grenzen, als sie schließlich nach der Rettung in Italien an Land gingen.

 

Denn wir alle wussten, dass das nicht das „happy end“ sein muss, das so eine Ankunft im „sicheren Europa“ verheißen mag.

Wir wussten, dass sie – und die, die nach ihnen kommen werden – rassistische Anfeindungen, mögliche Abschiebehaft und Asylrechtsverschärfungen erwarten. Einigen von ihnen drohen Verhöre und Gerichtsprozesse, in denen man sie der Schleuserei beschuldigen wird, z.B. weil sie in der Nähe des Motors saßen und die Boote gesteuert haben sollen. In Italien und Griechenland sitzen etliche Geflüchtete dafür im Knast, mit Haftstrafen mit über 45 Jahren.

Mit der GEAS-Reform will die EU sogenannte „irreguläre“ Migration einschränken und „Schleuser“ bekämpfen. Aber die Ursache dafür geht sie nicht an: Es gibt nämlich quasi keine „legalen“ Fluchtwege.
Flüchtende müssen extrem gefährliche Fluchtrouten nehmen, wenn sie ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen. Laut Genfer Flüchtlingskonvention haben Menschen das Recht, einen Asylantrag zu stellen und dürfen nicht bestraft werden, wenn sie dafür in ein Land einreisen. Aber in vielen EU-Staaten werden sie bestraft für die „irreguläre“ Einreise oder die Beihilfe dazu. Wie sollen sie denn sonst in die EU kommen, um einen Antrag zu stellen? Paradoxer geht es kaum!

Systematische Kriminalisierung trifft Menschen auf der Flucht am härtesten. Aber auch wer ihnen hilft, riskiert viel. Rettungsschiffe von NGOs werden festgesetzt, mit wiederholten Geldstrafen bis zu 10.000 Euro schikaniert und wochenlang an ihren Einsätzen gehindert.

Italien, könnte man jetzt sagen, die haben ja auch eine faschistische Regierung, oder? Gott sei Dank steht man in Deutschland für Menschenrechte ein. Und es steht sogar im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, dass zivile Seenotrettung nicht behindert werden darf…

…hätte man da nicht zufällig entdeckt, dass die Bundesregierung ein Gesetz so ändern will, dass bald auch Seenotretter:innen hier in Deutschland vor Gericht stehen könnten.

Nach diesem Vorschlag des Innenministeriums könnten Menschen wie ich und meine Kolleg:innen bis zu 10 Jahre ins Gefängnis gehen.
Das ist der größte Kriminalisierungsversuch der Seenotrettung, den es in Deutschland jemals gab!

Wie es dazu kommen konnte, ist so kompliziert verpackt, dass man es kaum versteht – und das ist bei einem politisch so umstrittenen Thema sicher kein Zufall: Es geht um den Entwurf eines – Achtung! – „Rückführungsverbesserungsgesetzes“. In dessen Rahmen soll auch das Aufenthaltsgesetz geändert werden, und zwar Paragraf 96, der sogenannte „Schleuserparagraf“. Der bestrafte bisher nur, wer Menschen bei der Einreise in einen anderen Schengen-Staat half, wie z.B. Italien, und dies gegen Bezahlung tat. Nun aber soll es auch ohne Bezahlung strafbar sein, wenn es „wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern“ passiert.

Das Innenministerium beteuert zwar – auf Druck der Presse hin – die Seenotrettung sei damit gar nicht gemeint gewesen. Was damit mal „gemeint“ war, ist aber total egal, wenn ein solcher Gesetzestext Staatsanwaltschaften die rechtliche Grundlage dafür schafft, NGOs zu überwachen, zu durchsuchen, ihre Schiffe zu beschlagnahmen und ihre Crews zu inhaftieren. Am Beispiel der Iuventa-Crew in Italien sieht man, wie durch jahrelange Prozesse eine NGO ausgeblutet werden kann – auch ohne Gerichtsurteil!

Aber wir werden nicht zulassen, dass Nothilfe für Flüchtende noch weiter kriminalisiert wird!

Geht man hier in Berlin ins Museum, werden Menschen stolz geehrt, die anderen bei der Flucht aus der DDR halfen. Schaut man von der Geschichte weg in die Gegenwart, werden Menschen kriminalisiert, wenn sie andere auf der Flucht vor Ungerechtigkeit, Armut und Repression nicht sterben lassen.

Wir verurteilen diesen Doppelstandard, der unsere Arbeit bald unmöglich machen und noch mehr Sterben an den EU-Außengrenzen verursachen könnte!

Wir verurteilen, dass die Bundesregierung dem Bundestag eine politisch umstrittene Gesetzesverschärfung unterjubelt, versteckt in einem juristisch kaum verständlichen Verfahren, und ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft!

Wir fordern vom Innenministerium und der Ministerin Nancy Faeser von der SPD: Nehmen Sie die Ausweitung des Paragrafen 96 zurück!
Wir fordern alle Bundestagsabgeordneten dazu auf: Stimmen Sie mit NEIN bei der Abstimmung über das „Rückführungsverbesserungsgesetz“! Flucht, Seenotrettung und humanitäre Hilfe dürfen nicht kriminalisiert und behindert werden – nicht in Deutschland und nicht in anderen EU-Staaten! Im Gegenteil: Die EU muss endlich ein europäisches und staatlich koordiniertes Seenotrettungsprogramm einrichten, damit Staaten ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Rettung endlich, endlich nachkommen!

Die Rechte von Schutzsuchenden müssen eingehalten werden! Niemand darf Menschen ertrinken lassen!

Am Dienstag veröffentlichten wir eine Stellungnahme gegen diesen Skandal, zusammen mit 55 anderen Organisationen.
Damit ihr euch auch dagegen wehren könnt: Unterschreibt und teilt unsere Online-Petition „Keine Haft für Seenotrettung“, um laut zu sein gegen diese Kriminalisierung!

Denn dies ist nur eine Entwicklung von vielen, die den Trend in Europa zeigen, die Rechte von Schutzsuchenden systematisch einzuschränken.
Wir sind heute hier, weil wir uns gegen die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems stellen! Die GEAS-Reform höhlt menschenrechtliche Standards aus und schafft das individuelle Recht auf Asyl quasi ab. Daher fordern wir von der Bundesregierung: Lehnen Sie in den Trilog-Verhandlungen die GEAS-Reform ab!

Menschen auf der Flucht verdienen unseren Respekt.
Mit ihnen erklären wir uns solidarisch im Kampf gegen die menschenverachtenden Folgen der EU-Asylpolitik.

Wer versucht sie und uns zu kriminalisieren, hat die Kraft und den Zusammenhalt unterschätzt, die uns heute hier auf die Straße gebracht haben, und die uns auch in Zukunft für unsere Überzeugungen werden kämpfen lassen.

Lisa (Vorständin SOS Humanity)

Denn schon jetzt ist die Humanity 1 wieder im Einsatz im zentralen Mittelmeer und wird Leben retten.
Unsere Crew wird wieder auf Menschen treffen, die stark sind.
Menschen wie sie sind schon immer in andere Länder migriert und sie werden es auch weiterhin tun.
Die Festung Europa wird es niemals schaffen, die Gatekeeperin ihres Strebens nach Freiheit zu werden.

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