Unser Einsatz in Bildern: Fotobuch von Max Cavallari

Das Fotobuch Aquaintance von Max Cavallari
Max Cavallari / SOS Humanity

Das Buch „Acquaintance – Search and Rescue in the Mediterranean Sea“ von Max Cavallari dokumentiert in eindrucksstarken schwarz-weiß Bildern unseren Einsatz im Oktober 2022, bei dem insgesamt 180 Menschen gerettet werden konnten. Der Fotograf war beim Einsatz mit der Humanity 1 mit an Bord und hat seine Eindrücke mit der Kamera festgehalten.

Das Buch ist ab sofort hier erhältlich.

Aquaintance Fotobuch von Max Cavallari über den Einsatz der Humanity 1
Max Cavallari

Unsere Pressereferentin Petra war bei der selben Rotation ebenfalls auf der Humanity 1. Sie schildert ihre Eindrücke und Erfahrungen von Bord.

Wie sich herausstellte, war der Einsatz für mich eine Erfahrung, die mein Leben verändert hat. Ich hatte das Glück, bei unserer zweiten Such- und Rettungsmission von Oktober bis November 2022 sechs Wochen als Teil der Besatzung an Bord der Humanity 1 zu verbringen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich fast drei Jahre lang als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die NGO SOS Humanity gearbeitet. Ich hatte von unserem Berliner Büro aus Journalist*innen und der Öffentlichkeit die aktuelle Notsituation im zentralen Mittelmeer, der tödlichsten Flucht- und Migrationsroute der Welt, erklärt. Ich hatte beschrieben, wie es den Menschen erging, die in seeuntüchtigen, überfüllten Booten aus Libyen flohen. Ich hatte regelmäßig die Situation an Bord unseres Rettungsschiffes geschildert, wo Hunderte von Überlebenden an Deck schliefen und darauf warteten, dass dem Schiff ein sicherer Hafen zugewiesen wurde, an dem sie von Bord gehen konnten. Jetzt war ich selbst an Bord, zusammen mit 28 anderen Crewmitgliedern aller Altersgruppen, Nationalitäten und Hintergründen. Einerseits fühlte es sich wie ein großes Abenteuer an, andererseits aber auch wie eine riesige Verantwortung, die auf unseren Schultern lastete. Ich wusste, dass jederzeit eine Notsituation eintreten konnte, in der jeder Schritt und jede Minute über Leben und Tod entscheiden würde. 

Mehr als ein Drittel der Besatzung waren Freiwillige: die Ärztin, die Krankenschwester und der Sanitäter, der Experte für psychische Gesundheit, der Menschenrechtsbeobachter und einige weitere. Ein Drittel der Besatzung war weiblich. Ich war auch an Bord eines unserer beiden RHIBs als Teil des Rettungsteams. Wir versuchen, mindestens eine Frau an Bord der schnellen Rettungsboote, der RHIBs, zu haben, die sich in einem Notfall zuerst nähern. Weibliche Überlebende fühlen sich vielleicht wohler, und es zeigt auch, dass wir nicht die sogenannte libysche Küstenwache sind, sondern Retter*innen. 

Max Cavallari

Eine der größten Ängste derjenigen, welche die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen ist es, von der EU-finanzierten, schwer bewaffneten sogenannten Küstenwache abgefangen und gewaltsam zurück nach Libyen gebracht zu werden. Viele fürchten dies mehr als das Ertrinken. „Es ist besser, im Mittelmeer zu sterben, als in Libyen. In Libyen ist nicht einmal dein toter Körper sicher“, sagte mir der 18-jährige Buba (Name geändert) aus Gambia, nachdem wir ihn und 112 weitere Menschen aus einem Schlauchboot gerettet hatten, das bereits Luft verlor. Es war sein dritter Versuch das Mittelmeer zu überqueren. Zweimal war Buba gewaltsam abgefangen und nach Libyen zurückgebracht worden.

Für die Besatzung ist der Moment, in dem sie sich für die Rettung bereit macht, immer ein sehr angespannter. Wir waren alle hochkonzentriert, vom Kapitän über den Koch bis zum Fotografen, und wir waren froh, dass wir jeden Schritt mehrfach geübt hatten – in der Theorie, in praktischen Übungen, bei Tag und bei Nacht, bei gutem und bei schlechtem Wetter, einschließlich des schlimmsten Falles: einer Notsituation mit vielen Opfern. Unser Fotograf Max Cavallari war ebenfalls an Bord eines der RHIBs. Seine Aufgabe war es, jeden Schritt der Rettung zu dokumentieren. Seine Fotos sind und werden auch in Zukunft für die Medien, die über die Geschehnisse im zentralen Mittelmeer berichten, sowie für die Öffentlichkeitsarbeit von SOS Humanity in Form von Berichten, Fundraising-Material, sozialen Medien und unserer Website von großer Bedeutung sein. Aber wie ich, die während meiner sechs Wochen auf See einen Blog für unsere Website schrieb, war auch Max gleichzeitig ein Retter. Wären wir in eine Notsituation geraten, mit zum Beispiel mehreren Menschen im Wasser, hätte er seine Kamera fallen lassen und einfach Leben gerettet.  

Teamwork ist das Wichtigste auf einem Rettungsschiff.

Die Evakuierung von 113 Menschen aus einem prekären Schlauchboot, die in Panik geraten, weil plötzlich die so genannte libysche Küstenwache auftaucht, erfordert perfekte sowie professionelle Zusammenarbeit. In diesem Fall ist es uns gelungen, jede einzelne Person, einschließlich eines sieben Monate alten Babys, sicher an Bord der Humanity 1 zu bringen. Dabei war es für uns Besatzungsmitglieder von entscheidender Bedeutung, einander vollkommen zu vertrauen. Wir wussten, dass wir uns auf jedes einzelne Teammitglied voll und ganz verlassen können, egal was passiert. Ich war beeindruckt, wie gut dieses sehr diverse Team zusammengearbeitet hat – und stolz, ein Teil davon zu sein. 

180 Menschen haben wir aus drei Booten in Seenot gerettet. Wir haben zwei Wochen mit ihnen auf dem Schiff verbracht und auf die Zuweisung eines sicheren Hafens gewartet. Es war erstaunlich, wie sehr in dieser Zeit nicht nur die Besatzung als Team zusammengewachsen ist, sondern auch, wie eng die Beziehung zu den Überlebenden wurde. Als uns schließlich der Hafen von Catania auf Sizilien zur Ausschiffung zugewiesen wurde, hatte in Italien gerade eine neue, rechtsextreme Regierung die Macht übernommen. Nun führten die Behörden eine noch nie dagewesene Triage der Überlebenden durch, wobei 35 von ihnen, erwachsene Männer, an Bord bleiben mussten. Sie wurden als gesund und nicht schutzbedürftig eingestuft. Auch hier tat die Besatzung alles, um das Problem zu lösen: Der Kapitän weigerte sich, den Hafen mit diesen aus Seenot geretteten Menschen an Bord zu verlassen, und berief sich dabei auf das Seerecht. Wir reichten Klage ein und informierten die italienischen und internationalen Medien. Nach drei Tagen und dem Beginn eines Hungerstreiks der Geretteten an Bord konnten auch sie das Schiff verlassen. 

Für die Besatzung war es ein seltsames Gefühl, sich nach sechs Wochen und allem, was wir gemeinsam durchgestanden hatten, zu trennen. Wir hatten so intensiv auf diesem begrenzten Raum mitten im Mittelmeer zusammen gelebt und gearbeitet. Dank unseres Besatzungsmitglieds Max Cavallari und seiner künstlerischen Fotografie vermittelt dieser wunderbare Bildband eindrücklich, warum die Rückkehr in unser normales Leben nicht einfach war. 

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