Kochen auf hoher See

Tine ist Köchin an Bord der Humanity 1 und versorgt Gerettete und Crew während eines Einsatzes mehrere Wochen am Stück mit Mahlzeiten. Dafür bereitete sie ausschließlich vegane Gerichte für zum Teil mehrere hundert Menschen zu – eine Herausforderung in einer kleinen Schiffsküche. Warum Tine sich trotz Stress und harter Arbeit für die zivile Seenotrettung einsetzt, wie sie Menschen an Bord den Tag versüßen kann und was sie von der europäischen Migrationspolitik hält, liest du hier.
Wie ist es dazu gekommen, dass du an Bord eines Such- und Rettungsschiffes arbeitest?
Ich bin eigentlich Landschaftsökologin. Ich bin am Anfang zufällig bei einer Werft gelandet und hab dann realisiert, wie gut ich mich einbringen kann. Am Anfang habe ich viel Logistik gemacht, erst später auch gekocht.
Wie sieht deine tägliche Arbeit aus?
Meine Aufgabe besteht darin, alle Menschen an Bord mit Essen zu versorgen – das beginnt beim Frühstück. Das bereiten sich alle eigenständig. Ich sorge lediglich dafür, dass genügend Aufstriche, Säfte, Kaffee, Milch und Brot – wenn wir es schaffen, selbstgebacken – da sind. Nach dem Morgen-Meeting um 8 Uhr wird gemeinsam geputzt und ich kontrolliere die Temperaturen aller Tiefkühler und Kühlschränke. Ich checke, was vom Vortag übrig ist und sortiere aus oder überlege mir, wie ich größere Mengen wiederverwerten kann.
Um 9 fangen wir für gewöhnlich an zu kochen, denn 3 Stunden braucht es schon, um ein Gericht mit mehreren Komponenten für eine 29-köpfige Crew zuzubereiten. Das Mittagessen wird um 12 Uhr serviert. Es gibt immer 2 Helfende aus der Crew, die mich in der Küche unterstützen. Sie helfen mit dem Abwasch, dem Küchenputz und räumen das Buffet nach einer Stunde ab. Je nachdem beginnt meine Mittagspause etwa um 13 Uhr. Die verbringe ich am liebsten an Deck in der Sonne, weil ich die sonst leider den ganzen Tag über nicht direkt abkriege.
Um 15 Uhr geht das Ganze wieder von vorne los und um 18 Uhr wird das Abendessen serviert. Danach muss die Küche wieder blitzblank geputzt werden, um alles hygienisch zu halten. Samstagabend und Sonntag ist dann Selbstversorgung angesagt und die Küche kann von der Crew genutzt werden. Das gilt natürlich nur für die Zeit im Hafen.
Wie unterscheidet sich die Arbeit auf See sonst noch von der in der Werft?
Es ist schwer zu vergleichen. In der Werft hat man einen immergleichen Tagesablauf, Wochenende und kann, wenn was fehlt, mal kurz zum Supermarkt. Allerdings muss man sich stets auf neue Leute einlassen. Auch beim Kochen bedeutet das, viel und oft zu erklären, wie was abläuft und wechselnden Ansprüche ans Essen, z.B. durch Allergien, gerecht zu werden. Auf See haben wir einen klaren Plan und ein konstantes Team, allerdings auch Trainings, unvorhersehbare Situationen, Schlafmangel, Traumata – und immer das Schicksal von Menschen vor Augen, deren Rechte mit Füßen getreten werden.
Da darf nichts schiefgehen und es gibt keinen Abbruch, wenn man mal zu müde ist. Aber am Ende verfolgt alles,was auf diesem Schiff getan wird, dieses Ziel. Das relativiert einen stressigen Tag schnell, egal ob in der Werft oder auf See.
Wenn Gerettete an Bord sind, müsst ihr oft für mehrere hundert Menschen kochen. Viele davon sind außerdem seekrank oder mangelernährt. Welche Gerichte eignen sich dafür?
Wir haben ein Set von verschiedenen Gerichten, die wir zubereiten, wenn Gerettete an Bord sind. Couscous mit verschiedenen Soßen, Dahl und dazu Brot, aber auch viel Reis. Die Sättigungsbeilage eignet sich sehr gut, um in großen Mengen gekocht zu werden.
Auf dem Schiff gibt es nur begrenzte Möglichkeiten und Vorräte. Lässt sich da abwechslungsreich und gesund kochen?
Wir bemühen uns, dass es immer eine Salatbeilage sowie Nüsse, frische Kräuter – Koriander immer extra, der polarisiert -, Gimmick, ein besonders knoblauchlastiger Dip für Schärfe-Fans, oder andere Toppings gibt. Vor allem die Kombination aus Kohlenhydraten, Proteinen und Vitaminen muss stimmen. Wir werden scharf unter die Lupe genommen, denn für viele ist eine rein vegane Ernährung, wie wir sie an Bord anbieten, neu und ich möchte beweisen, dass diese ausgewogen und lecker sein kann. Ich glaube, es ist ganz erfolgreich.
Wie lassen sich im Voraus Mengen für so viele Menschen und einen langen Zeitraum kalkulieren?
Planung und Timing sind wohl die beiden größten Herausforderungen. Bei einer so großen Menge kann man nicht experimentieren und improvisieren. Das bedeutet wir legen die Portionsgröße und Zusammensetzung vorher genau fest. So können wir abschätzen, wie lange wir mit dem uns zur Verfügung stehenden Equipment brauchen, um alles zuzubereiten, es warmzuhalten, es zu transportieren und aufzutischen. Außerdem können wir so eine ausreichende Kalorienzufuhr und ausgewogene Ernährung für die Menschen an Bord garantieren.
Der Anspruch ist, so wenig wie möglich wegwerfen zu müssen. Deshalb wird bei jeder Übergabe oder Einsatzbeginn eine gründliche Inventur gemacht. Anhand dieser bestellen wir dann Produkte für den nächsten Einsatz. Einige Mengen insbesondere für Non-Food-Items wie z.B. Backpapier sind Erfahrungswerte, aber ganz viel ist tatsächlich Augenmaß. Da die Anzahl der Portionen recht konstant ist, entwickelt man schnell ein Gefühl für die richtige Menge.

Was bedeutet es für dich und die Verpflegung der Menschen, wenn ein weit entfernter Hafen zugewiesen wird und die Überfahrt mehrere Tage in Anspruch nimmt?
Wir können natürlich nur eine begrenzte Menge an Lebensmitteln auf einmal mit uns führen. Je nachdem wie viele Menschen an Bord sind und wie viele Tage hinzukommen durch eine unnötig lange Überfahrt, gehen manche Zutaten dann irgendwann aus. Das heißt nicht, dass es dann zu wenig Essen gibt. Wir kalkulieren die wichtigsten Zutaten für 200 Menschen für 3 Wochen. Allerdings wird die Kost bei einer längeren Überfahrt natürlich eintöniger. Lebensmittel, die sich nicht so lange halten, werden irgendwann knapp. Denn selbst, wenn wir etwa noch eine kleinere Menge Brot auf Vorrat haben, können wir es nur servieren, wenn es auch für alle reicht. Alle heißt unsere Crew und die Geretteten, denn sie alle bekommen das gleiche Essen.
Als Köchin kommst du tagtäglich mit den Menschen an Bord in Kontakt. Gibt es eine Begegnung, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Bei der letzten Rotation gab es tatsächlich eine Situation, die mich in meiner Arbeit als Köchin direkt betroffen hat. Wir hatten viele kleine Kinder an Bord und als ich an Deck war, habe ich bemerkt wie sich zwei von ihnen erbittert um ein Stück BP-Bar gestritten haben. Das sind hochkalorische Riegel, die wir am Anfang austeilen, die sehr satt machen, aber wirklich nicht besonders toll schmecken.
Da dachte ich, ich kann zumindest den Leuten, die grade hier bei uns sind, eine kleine Freude machen und habe nachts noch Schokokuchen gebacken, sodass am nächsten Tag zum Abschied alle ein großes Stück bekommen konnten.
Was wünscht du dir von der Politik?
Ich wünsche mir, dass die Politik realisiert, dass Menschen flüchten und migrieren, weil es keine menschenwürdige Alternative für sie in ihren Herkunftsstaaten gibt. Dafür sind viele Faktoren verantwortlich wie die anhaltende Ausbeutung und Unterdrückung ressourcenreicher Länder durch Großkonzerne der westlichen Industrienationen. Koloniale Folgen und der anhaltende Profit, der aus der instabilen Lage vieler Länder gezogen wird, muss benannt und erkannt werden als eine ausschlaggebende Ursache für unmögliche Lebensumstände der Menschen vor Ort, neben Folgen des Klimawandels.
Die Abschottung an den Grenzen der EU und das Maß mit dem Menschenleben ganz unverhohlen gemessen werden – vor allem die nicht Weißer Menschen – widern mich an. Menschen begreifen Europa als Hoffnungsort und erwarten, dass ihre Menschenrechte, dort gewahrt werden. Doch die Verlogenheit, mit der Fortschrittlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit hier gepriesen werden, ist offensichtlich, wenn man sieht, wie Menschen in Not and den Grenzen Europas behandelt werden. Ich wünsche mir, dass die Werte, die sich die EU auf die Fahne schreibt, geachtet werden, und zwar nicht nur auf dem Papier oder wenn man die richtigen Papiere hat.