„Es sind die Strukturen, die die Personen vulnerabel machen.“ Ein Gespräch mit Caro von ROSA e.V.

Carolin Selig / ROSA e.V.

Caro (33) ist seit rund einem Jahr bei ROSA e.V. aktiv und kümmert sich derzeit um die politischen Angelegenheiten. Der gemeinnützige Verein setzt sich für die Verbreitung von Safer Spaces für FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, Intersex-, Nicht-binäre-, Trans- und Agender-Personen) auf der Flucht und in Deutschland ein. Im Gespräch erläutert sie die besonderen Umstände, denen betroffene Personen ausgesetzt sind.

Warum sind sichere Orte auf der Flucht insbesondere für FLINTA*-Personen wichtig?

Erstmal gilt festzuhalten, dass die Fluchtrouten, Fluchtbedingungen und auch die Unterbringung in den Camps, katastrophal für alle flüchtenden Menschen sind. Das ist klar und darf auch nie vergessen werden, wenn auf die spezifischen Bedingungen, denen FLINTA*-Personen ausgesetzt sind, aufmerksam gemacht wird, um keine Abstufung oder Hierarchisierung reinzubringen.

Aber FLINTA*-Personen sind noch mal anderen Herausforderungen und Bedingungen ausgesetzt. Blickt man auf die Camps Griechenlands, wo wir auch aktiv sind, sind dort oft viele Menschen auf geringem Raum. Es herrscht Armut, Gewalt, Drogenmissbrauch, es gibt sehr wenig Privatsphäre sowie eine schlechte medizinische und hygienische Versorgung.

All das kann mit dem Safer Space von ROSA zwar nicht gelöst werden, nichtsdestotrotz versuchen wir FLINTA*-Personen so einen Raum zu bieten, wo sie sich treffen können, in den sie ihre Kinder mitbringen oder in die Kinderbetreuung abgeben können und wo sie medizinische Versorgung erlangen können. Uns ist auch immer daran gelegen, dass der Safer Space ein Ort ist, den sich FLINTA*-Personen selbst gestalten können und der gegebenenfalls eine große Bandbreite an Möglichkeiten von gemeinsamen Begegnungen, Tee trinken, lachen, weinen bis hin zu Workshop-Angeboten abdeckt.

Rolling Safe Space von ROSA e.V. in Griechenland.
ROSA e.V.

Was macht die Flucht für FLINTA*-Personen gefährlich?

Es gibt Bedingungen, die die Flucht noch herausfordernder und auch gefährlicher für FLINTA*-Personen machen: Man muss sich einfach nur vorstellen, während einer Flucht schwanger zu sein oder zu werden. Das ist eine extreme Herausforderung, die eigentlich Ruhe, bestimmter Ernährung und medizinischer Versorgung bedarf, die während einer Flucht zu keinem Zeitpunkt gegeben sind und auch strukturell vorenthalten werden.

Uns kommen auch Berichte aus den Camps in Griechenland zu Ohren, wo  die Frauen zum Beispiel bewusst weniger trinken, um nicht aufs Klo zu müssen, weil die hygienischen Bedingungen in den Camps so katastrophal sind, es einfach viel zu wenig sanitäre Anlagen gibt und diese wenigen sanitären Anlagen nicht ausreichend Privatsphäre bereiten, weil sie nicht abgeschirmt sind. Dadurch werden sie zu Orten, an denen sexuelle Belästigung möglich ist und – den Berichten zufolge – auch tagtäglich stattfindet.

Die andere Sache ist, dass Frauen oft sowohl die Kinderbetreuung als auch die Care-Arbeit der Familie als Aufgabe haben. Mit Kindern unterwegs zu sein, schränkt in der Mobilität ein. Dann noch einen Job finden zu müssen, um sich ernähren zu können, erschwert die Flucht zusätzlich.

Die Liste der Gründe ist lang. Letztendlich bleibt festzuhalten, dass Frauen –  gerade, wenn sie allein reisen – durch patriarchale kapitalistische Strukturen noch mehr gefährdet sind. So berichten uns Frauen von sexueller Ausbeutung und davon, ihre Körper als Ware nutzen zu müssen, um Schleuser zu bezahlen.

Inwiefern unterscheiden sich die Fluchtgründe von FLINTA*-Personen und Männern?

Auch hier gibt es gleiche Gründe. Natürlich fliehen alle Geschlechter vor Krieg, Armut und vor Lebensbedingungen, die kein menschenwürdiges Leben möglich machen. Aber FLINTA*-Personen sind aufgrund ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung anderen Herausforderungen ausgesetzt.

So fliehen Männer zum Beispiel, um Zwangsrekrutierung zu entgehen. Das ist ein spezifischer Fluchtgrund, der eher auf Männer oder männlich gelesene Personen zutrifft. Bei FLINTA*-Personen auf der anderen Seite ist es dann beispielsweise die häusliche Gewalt. Andere Gründe sind: Zwangsheirat, Zwangssterilisierung, Abtreibungen, Genitalverstümmelung oder im Allgemeinen die Vorenthaltung von Menschenrechten, auch in Bezug auf die Bewegungsfreiheit, das Recht auf Bildung, das Recht auf die eigene körperliche Bestimmung – all das sind Gründe, die primär FLINTA*-Personen betreffen.

Was bedeutet die kürzliche Verabschiedung des sogenannten „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ und die die damit einhergehende Kriminalisierung uneigennütziger humanitärer Hilfe für eure Arbeit?

Wir haben uns viel damit auseinandersetzen müssen. Das Gesetz versucht die Arbeit von NGOs an den Außengrenzen zu kriminalisieren, doch dadurch, dass ROSA nicht direkt an den Grenzen tätig ist, sondern primär im Bereich Athen und unsere Aufgabe nicht im Transport von Menschen besteht, sind wir in unserer derzeitigen Arbeit eher gering gefährdet. Das ist zwar gut, doch um das herauszufinden, mussten wir viel Zeit und Energie aufbringen. Außerdem waren wir auf fachliche Beratung von Anwält*innen angewiesen, um Antworten auf die Sorge: „Wie kann es weitergehen?“ zu finden.

Das Gesetz schafft Unsicherheit und macht die Arbeit von NGOs schwer. Ganz abgesehen davon ist es eine katastrophale Message, humanitäre Hilfe, die uneigennützig ist, unter Strafe zu stellen. Wenn man sich das auf der Zunge zergehen lässt, merkt man auch die Stoßrichtung, in die es gehen soll.

Carolin Selig von ROSA e.V. auf der Protestaktion gegen das sog. "Rückführungsverbesserungsgestz" in Berlin.
Carolin Selig / ROSA e.V.

Wie fühlst du dich angesichts dieser politischen Entwicklungen?

Mich persönlich macht es wütend und fassungslos, wobei es, bei adäquater Betrachtung der politischen Lage, leider nicht verwunderlich ist.

Was man als Gutes daran nennen kann, ist, dass wir uns durch dieses Gesetz sehr viel besser mit anderen Organisationen, wie zum Beispiel mit den zivilen Seenotrettungsorganisationen, vernetzt haben. Daraus können starke Bündnisse entstehen, um Vorkommnisse nicht nur zu betrachten, sondern aktiv werden zu können, eine Stimme der Zivilgesellschaft zu sein und sich in der Solidarität zusammenschließen zu können.

Was forderst du von der Politik?

Wir werden nicht müde, sichere Fluchtrouten für alle Menschen und gleichzeitig strukturelle Lösungen für die spezifischen Herausforderungen und Bedingungen von FLINTA*-Personen zu fordern. Und vor allem: sich nicht weiter vor den rechten Karren spannen zu lassen.

Aussagen wie: „Wir verfolgen eine feministische Außenpolitik“ sind leere Worte, wir haben bisher nichts davon gemerkt. Wir fordern Handlungen, die die Lage anerkennen und verbessern, aber gleichzeitig FLINTA*-Personen auf der Flucht nicht ausschließlich als Hilflose und als Opfer darstellen, sondern auch die feministischen Kämpfe und solidarischen Aktionen wertschätzen.

Was liegt dir in Bezug auf FLINTA*-Personen auf der Flucht besonders am Herzen?

Was mir und uns wichtig ist, ist die Anerkennung spezifischer Bedürfnisse und dass nicht ausschließlich über Frauen und FLINTA* gesprochen und ihnen eine pauschale Vulnerabilität unterstellt wird.

Es ist wichtig zu verstehen, dass es eben nicht per se von dem Menschen oder dem Geschlecht abhängt, ob man besonders gefährdet ist, sondern dass es politisch gewollte Strukturen sind, die die Menschen verletzlich machen und dass diese bekämpft werden müssen.

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