„Was es eigentlich braucht, sind sichere Fluchtwege.“ Ein Gespräch mit Rechtsanwalt David Werdermann

David Werdermann - ein weißer Mann mit hellen, langen Haaren und Brille, sitzt vor einer weißen Wand und neben einer Pflanze.
Videostill / SOS Humanity

David Werdermann ist Rechtsanwalt und war der Erste, dem die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung durch die Änderung des Paragrafen 96 durch das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz auffiel. Neben massiven Asylrechtsverschärfungen bedeutet das Gesetz auch, dass humanitäre Hilfe an den EU-Außengrenzen und die zivile Seenotrettung kriminalisiert wird. Denn der Paragraf 96 aus dem Aufenthaltsgesetz stellt nun auch die uneigennützige „Beihilfe zur unerlaubten Einreise“ in den Schengenraum unter Strafe, worunter eben auch die Arbeit ziviler Seenotrettungsorganisationen und vieler weiterer humanitärer Hilfsorganisationen fällt.

Nachdem David Werdermann ein juristisches Gutachten dazu veröffentlichte und es massiven Protest aus der Zivilgesellschaft gab, hieß es aus Regierungsfraktionen, dass die zivile Seenotrettung aus der Gesetzesänderung ausgenommen wird.

Doch im finalen Gesetzesentwurf, der im Bundestag und Bundesrat durchgekommen ist, stellt sich jetzt heraus, dass ausgerechnet die Rettung von unbegleiteten Minderjährigen strafbar ist. Wie es dazu kommen konnte und mit welchen rechtlichen Konsequenzen unsere Crew an Bord oder unser Team an Land rechnen müssen, erklärt David Werdermann in einem Interview.

Du warst der Erste, dem die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung durch eine Gesetzesänderung des Aufenthaltsgesetzes im Vorschlag des Bundesinnenministeriums für das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ aufgefallen ist. Wie bist du darauf aufmerksam geworden?

Ich arbeite bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Wir beschäftigen uns dort mit Praktiken oder Gesetzen, die gegen Grund- und Menschenrechte verstoßen und versuchen, dagegen mit strategischer Prozessführung vorzugehen. Weil ich mich schon länger mit dem Schleusungsparagrafen [Anm: Paragraf 96] beschäftige, habe ich mir das Rückführungsverbesserungsgesetz näher angeschaut und bin dabei auf die Verschärfung gestoßen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass der Schleusungsparagraf eigentlich immer schon gegen Migrant*innen verwendet wird.

Denn der Tatbestand des „Einschleusens“ ist nicht daran geknüpft, dass man Menschen einer Gefahr aussetzt oder gar Menschenhandel betreibt. Ausreichend für die Strafbarkeit ist, dass man Menschen bei der „unerlaubten Einreise“ hilft. Und in vielen Fällen sind es auch Flüchtende selbst, die ein Boot steuern oder ein Auto über die Grenze fahren, um sich und andere zu retten.

Der Paragraph 96 ist ja nicht neu. Was ist das Problem bei der neuen Gesetzesänderung?

Durch die Gesetzesänderung wurde der Tatbestand der „Einschleusung in die EU“ massiv ausgeweitet. Denn während sich bisher nur strafbar machte, wer einen finanziellen Vorteil davon hatte, machen sich nun alle humanitär Helfenden strafbar, die „wiederholt oder zugunsten mehrerer Ausländer“ handeln. Und das trifft eigentlich auf jede Seenotrettung zu.

Zwar wurde die Seenotrettung nach einem Aufschrei aus der Zivilgesellschaft ausgenommen, aber im finalen Gesetzestext ist die Rettung von unbegleiteten Minderjährigen weiterhin erfasst. Auch der humanitären Hilfe für Menschen auf der Flucht über den Landweg droht eine Kriminalisierung.

Eigentlich sind bei jeder unserer Rettungen mehrere unbegleitete Minderjährige an Bord. Was bedeutet das jetzt konkret für unsere Organisation und die Crewmitglieder an Bord?

Die Änderung führt zu Unsicherheit. Das bedeutet aber nicht, dass eine Rettung von unbegleiteten Minderjährigen automatisch zu einer Verurteilung führt und Crewmitglieder im Gefängnis landen. Es gibt gute Gründe dafür, dass sich Fluchthelfer*innen und Seenotretter*innen auf den rechtfertigenden Notstand nach Paragraf 34 Strafgesetzbuch berufen können. Aber das ist mit gewissen Unsicherheiten verbunden. Und wenn der Rechtsruck weitergeht und möglicherweise bald die AfD in Thüringen oder Sachsen den Justizminister stellt, dann könnte dieser die dortige Staatsanwaltschaft anweisen, Ermittlungen aufzunehmen. Selbst wenn es am Ende zu keiner Verurteilung kommt, ist ein Strafverfahren psychisch belastend und kostenintensiv. Deshalb ist es dringend notwendig, dass der Gesetzgeber klarstellt, wie das Gesetz zu verstehen ist.

Trotz dieser Unklarheiten und dem Protest aus der Zivilgesellschaft wurde am Ende für diesen Gesetzesentwurf gestimmt. Was bedeutet dieser Schritt für dich?

Ich sehe die Kriminalisierung von Fluchthilfe als Ausdruck des Rechtstrucks in Europa. Wir sehen, dass die Rechte von Geflüchteten massiv beschnitten werden. Asylverfahren und Grenzschutz sollen in sogenannte „sichere Drittstaaten“ ausgelagert werden. Dort ist aber die Rechtsstaatlichkeit nicht gegeben.

 

Die Strafbarkeit des „Schleusens“ ist nur ein Baustein von vielen, die Menschen daran hindern sollen, Europa überhaupt zu erreichen und ihr Recht auf Asyl und Schutz geltend zu machen.

Was eigentlich notwendig wäre, sind sichere, legale Fluchtwege. Damit hätte sich das Geschäft des Schleusens oder Schmuggelns erledigt. Menschen könnten Europa sicher erreichen und ihren Asylantrag hier stellen, wie es ihnen nach Grund- und Menschenrechten zusteht.

Newsletter Abonnieren
Die Datenschutzerklärung wird mit der Registrierung zur Kenntnis genommen.
Kontakt

SOS Humanity e.V.
Postfach 440352
12003 Berlin

kontakt@sos-humanity.org
+49 3023525682

Spendenkonto

SOS Humanity e.V.

IBAN: DE04 1005 0000 0190 4184 51
BIC: BELADEBEXXX

Transparenz

Copyright 2024 – SOS Humanity