„Wir sind entsetzt und wütend“ Marie über das sogenannte Rückführungs­verbesserungsgesetz

Marie von SOS Humanity hält ein Plakat mit der Unterschriftenanzahl der Petition "Keine Haft für Seenotrettung" vor dem Bundestag
Rebecca Gahr / SOS Humanity

Am 18. Januar 2024 soll im Bundestag über das umstrittene „Rückführungsverbesserungsgesetz“ entschieden werden. Damit würden Abschiebemaßnahmen verschärft, die Rechte Schutzsuchender eingeschränkt und humanitär Helfende kriminalisiert werden. Auch die Seenotrettung ist davon nicht wie angekündigt ausgenommen. SOS Humanity und andere Organisationen protestieren dagegen vor dem Bundestag. Marie aus dem Politik- und Mobilisierungs-Team bei SOS Humanity hält vor Ort eine Rede.

Wir stehen heute hier als Zivilgesellschaft, als humanitäre Organisationen und solidarische Bewegungen mit Menschen auf der Flucht – weil wir entsetzt und wütend sind. Entsetzt und wütend über das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz, über das der Bundestag heute entscheiden soll.

Entsetzt und wütend darüber, dass dieses Gesetz bereits unmenschliche Abschiebepraxen weiter verschärft und damit die Entrechtung von schutzsuchenden Menschen in unserer Gesellschaft vorantreibt.

Entsetzt und wütend darüber, dass die Unterstützung von Menschen auf der Flucht kriminalisiert werden soll. Darüber, dass im Rahmen des Rückführungsverbesserungsgesetz zivile Seenotretter*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und humanitäre Helfer*innen bis zu zehn Jahre ins Gefängnis gesteckt werden sollen.

Wir, das sind nicht nur alle, die hier heute stehen, sondern 136.000 Menschen, die sich mit der Petition „Keine Haft für zivile Seenotrettung“ gegen das Rückführungsverbesserungesetz ausgesprochen haben. 136.000 Menschen, die sich für den Schutz von humanitärer Hilfe und für den Schutz von ziviler Seenotrettung einsetzen.

Im Koalitionsvertrag bekennen sich die Regierungsparteien zu ihrer humanitären Verantwortung und ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen, um Geflüchtete zu schützen. Sie erkennen die Pflicht zur Seenotrettung an und wollten, so wörtlich, „das Leid an den Außengrenzen beenden“ und „sich für eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung einsetzen“.

Drei Jahre später ist die Bilanz erschreckend.

Statt, dass diese Versprechen umgesetzt werden, sehen wir Asylrechtsverschärfungen und den größten Kriminalisierungsversuch von ziviler Seenotrettung in Deutschland, den es je gab, und einen massiven Angriff auf humanitäre Hilfe für Schutzsuchende an den EU-Außengrenzen insgesamt.

Hier geht es vor allem um die Änderung des §96 im Aufenthaltsgesetz, die im Rahmen des Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet werden soll. Dieser Paragraph regelt die Strafbarkeit der sogenannten „Einschleusung“ von Ausländer*innen nach Deutschland und in den Schengenraum. Bislang stand für den Schengenraum nur unter Strafe, wenn Menschen einen finanziellen Vorteil davon erhalten, anderen bei der Einreise helfen – also wenn sie Geld dafür bekommen. Jetzt soll auch die uneigennützige Hilfe zur Einreise unter Strafe stehen. Konkret bedeutet das, dass ich und meine Kolleg*innen bis zu 10 Jahre ins Gefängnis gehen könnten.

Wie es dazu kommen konnte, ist so kompliziert verpackt, dass man es kaum versteht. Zudem wurde die Zivilgesellschaft vom politischen Prozess ausgeschlossen und getäuscht :

Nachdem wir aktiv als Zivilgesellschaft laut geworden sind, gab es erst Beschwichtigungen man wolle die zivile Seenotrettung mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ nicht kriminalisieren. Anschließend wurde nach Angaben der Regierungsfraktionen die Seenotrettung aus dem Paragraphen ausgenommen – humanitäre Hilfe auf dem Landweg sollte weiterhin unter Strafe stehen.

Jetzt hat sich gestern doch herausgestellt: Entgegen den Behauptungen der Regierungsfraktionen wurde der Gesetzentwurf nicht so angepasst, dass die zivile Seenotrettung von der Strafbarkeit in Deutschland ausgenommen wurde. Das heißt: Zivile Seenotrettung soll kriminalisiert werden.

Die Rettung von unbegleiteten Minderjährigen aus Seenot soll nun strafbar sein.

Wir stehen jetzt also vor der absurden Konstellation, dass volljährige Personen gerettet werden dürften, die Rettung von Kindern jedoch mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren bestraft werden könnte!

Tatsache ist, dass unsere Rettungsschiffe bei jedem Einsatz allein reisende Minderjährige aus Booten in Seenot retten. Somit stehen wir als Mitarbeiter*innen und Crewmitglieder einer zivilen Seenotrettungsorganisation mit einem Bein im Gefängnis, sollte heute über den Paragrafen 96 mit ja gestimmt werden. Und nicht nur wir! Auch andere Formen der Unterstützung von Menschen auf der Flucht werden kriminalisiert.

Es ist völlig absurd: Mit welchem Recht, mit welchem Argument kann humanitäre Hilfe nach Gruppen und Ort unterschieden werden? Mit welchem Recht können Erwachsene auf See von der Änderung ausgenommen werden und humanitäre Hilfe für Minderjährige auf See sowie humanitäre Hilfe an Land kriminalisiert werden?

Wir sagen: Humanitäre Hilfe und Solidarität mit Menschen auf der Flucht dürfen nie und nirgendwo – nicht an Land und nicht auf See strafbar gemacht werden!

Wir stehen heute gemeinsam hier, weil wir entsetzt und wütend sind. Weil wir entsetzt und wütend sind, dass flüchtende Menschen und jene, die ihnen humanitäre Unterstützung bieten, in Deutschland mit Haftstrafen bedroht werden. Diese Kriminalisierung von uneigennütziger Hilfe ist ein Skandal und widerspricht unseren demokratischen Grundwerten.

Aber wir stehen auch heute hier, weil die Abgeordneten jetzt die Möglichkeit haben diese politische Katastrophe noch abzuwenden und sich zu den Menschenrechten zu bekennen.
Wir fordern Sie als Bundestagsabgeordnete eindringlich dazu auf, stimmen sie heute mit „nein“ gegen das Rückführungsverbesserungsgesetz!
Denn Flucht und Solidarität mit Menschen auf der Flucht dürfen keine Straftat sein!

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