Korrektur Terminhinweis: Regierungsfraktionen wollen Rettung von Kindern auf der Flucht und in Seenot strafbar machen!
Am Donnerstag, den 18.01.2024, wird der Deutsche Bundestag in zweiter und dritter Lesung über das Rückführungsverbesserungsgesetz und die enthaltene Änderung des Paragrafen 96 Aufenthaltsgesetz abstimmen. Wie sich erst jetzt herausstellt, wurde dieser entgegen den Angaben aus den Regierungsfraktionen Ende 2023 nicht so angepasst, dass die zivile Seenotrettung von der Strafbarkeit in Deutschland ausgenommen wurde: Die Rettung von unbegleiteten Minderjährigen aus Seenot wird explizit strafbar, so die Juristen David Werdermann und Vera Magali Keller sowie Valentin Schatz in zwei unabhängigen Rechtsgutachten*.
Medien hatten ab dem 20.12.2024** berichtet, dass nach massiven Protesten in der Zivilgesellschaft wie auch in Reihen der Politik Seenotrettung von der möglichen Strafverfolgung mithilfe des geänderten Paragrafen 96 Aufenthaltsgesetz, Teil des neuen „Rückführungsverbesserungsgesetzes“, im Gesetzentwurf ausgenommen wurde. Kurz vor der Abstimmung des Gesetzes wird durch zwei Rechtsgutachten belegt, dass die Rettung aus Seenot und Ausschiffung von allein reisenden minderjährigen Flüchtenden in den Schengenraum von der Strafbarkeit betroffen bleibt, sollte der Bundestag für das neue Gesetz stimmen.
„Wir sind in höchstem Maße irritiert über das Vorgehen und entsetzt über das Ergebnis: Die Regierungsfraktionen im Bundestag haben den Protest beschwichtigt und behauptet, zivile Seenotrettung durch einen Zusatz im Gesetz von der Kriminalisierung auszunehmen – doch wir wurden getäuscht. Nachdem der Gesetzentwurf lange zurückgehalten wurde, stellen unabhängige Jurist*innen nun fest, dass zivile Seenotrettung weiterhin strafbar gemacht wird“, empört sich Mirka Schäfer, Politikexpertin der Seenotrettungsorganisation SOS Humanity. „Durch die Änderung eines Absatzes, der unbegleitete minderjährige Flüchtende betrifft, wird die Ausschiffung von aus Seenot geretteten Minderjährigen eine Straftat. Tatsache ist, dass unsere Rettungsschiffe bei jedem Einsatz allein reisende Minderjährige aus Booten in Seenot retten. Somit stehen wir mit einem Bein im Gefängnis, sollten morgen die Bundestagsabgeordneten über den Paragrafen 96 mit ja abstimmen.“ Seit Einsatzbeginn 2022 waren rund 25 Prozent aller mit dem Rettungsschiff Humanity 1 Geretteten unbegleitete Minderjährige.
AKTIONSTERMIN:
Gegen die Gesetzesänderung, die humanitäre Hilfe für in den Schengenraum flüchtende Menschen strafbar macht protestieren mehrere Organisationen am Donnerstag vor dem Bundestag mit dem Slogan: „Keine Haft für Seenotrettung und Solidarität mit Menschen auf der Flucht!“. Sie fordern die Abgeordneten vor Ort auf, die Gesetzesänderung zu stoppen.
Öffentliche Protestaktion: Teilnehmende zum Teil in Handschellen als Symbolisierung der Haftdrohung, Banner und Schilder des Protests gegen §96, Petition mit über 135.000 Unterschriften
Als Initiatoren der Petition Vertreter von SOS Humanity, Sea-Watch, United4Rescue, LeaveNoOneBehind, Seebrücke sowie Unterstützende: Blindspots, Frach Collective, Medical Volunteers International, ROSA Rolling Safe Space, Sea-Eye, Pro Asyl, und diverse Aktivisten aus der humanitären Hilfe. Unter den Rednern: Marie Michel, Politikexpertin von SOS Humanity
Donnerstag, 18. Januar 2024, ab 10:00 Uhr
Vor dem Bundestag (Reichstagsgebäude), Platz der Republik 1, 10557 Berlin
Der Paragraf 96 des Aufenthaltsgesetzes wurde im Entwurf des „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ im Herbst 2023 so verändert, dass auch uneigennützige Unterstützung Flüchtender sowie Seenotrettung mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden kann. Mit der Petition „Keine Haft für zivile Seenotrettung“ sammelten die anwesenden Organisationen über 135.000 Unterschriften gegen das Rückführungsverbesserungsgesetz und die Strafverfolgung von ziviler Seenotrettung und humanitärer Hilfe. Diese wurden im Vorfeld, am Montag, den 15.01.2024, dem Obmann von Bündnis 90/Die Grünen im Innenausschuss, Marcel Emmerich, überreicht. Mit den Unterschriften fordern die mehr als 135.000 Unterzeichnenden alle Bundestagsabgeordneten auf, gegen das Gesetz und die enthaltene Änderung des Paragrafen 96 zu stimmen.
Marie Michel, politische Referentin bei SOS Humanity: „Es ist zutiefst unmenschlich, dass die Solidarität mit Menschen auf der Flucht kriminalisiert wird. Humanitäre Hilfe für Flüchtende darf in Deutschland nicht strafbar gemacht und behindert werden! Wir fordern das Parlament auf, in der zweiten und dritten Lesung die Gesetzesänderung abzulehnen. Humanitäre Hilfe unter Strafe zu stellen, widerspricht den Werten einer Demokratie.“ SOS Humanity fordert die Bundesregierung auf, ihr Koalitionsversprechen einzulösen, statt Seenotrettung und humänitäre Hilfe zu kriminalisieren. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampelregierung angekündigt, auf eine staatlich koordinierte, europäische Seenotrettung hinzuwirken und klargestellt, dass zivile Seenotrettung nicht behindert werden darf. Das zentrale Mittelmeer war 2023 mit rund 2.500 Ertrunkenen und Vermissten die tödlichste Fluchtroute der Welt.
*Kurzgutachten von Vera Magali Keller und David Werdermann und Kurzgutachten von Aziz Epik und Valentin Schatz.
** Tagesspiegel, 20.12.2023: „Ampel stellt gesetzlich klar: Seenotretter werden in Deutschland nicht juristisch belangt“
Hintergrund
Bislang steht in Deutschland nur unter Strafe, wer „Ausländer“ gegen einen persönlichen Vorteil wie finanziellen Gewinn in den Schengenraum bringt. Nun aber hat das Bundesinnenministerium eine Gesetzesänderung vorgeschlagen, die vom Kabinett bestätig wurde, sodass auch die uneigennützige, humanitäre Hilfe für Flüchtende strafbar wird. Schon nächste Woche soll das „Rückführungsverbesserungsgesetz“, in welchem neben Asylrechtsverschärfungen eine Ausweitung der Strafbarkeit von Hilfe für Flüchtende im Paragrafen 96 Aufenthaltsgesetzt enthalten ist, in den Bundestag eingebracht werden. Demnach unterliegen Helfende, die „wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handeln“, indem sie diese in den Schengenraum bringen, der Strafverfolgung. Nach Einschätzung von Juristinnen und Juristen beträfe dieses Gesetz auch die lebensrettende Arbeit auf dem Mittelmeer durch zivile Seenotrettungsorganisationen.
Der unabhängige Jurist R.A. David Werdermann: „Die Gesetzesänderung ist so gut versteckt, dass ich nur durch Zufall darauf gestoßen bin und selbst spezialisierte Jurist*innen sie nur mit Mühe nachvollziehen können.“
David Werdermann hat die Gesetzesänderung im Detail analysiert und hier veröffentlicht: Faktencheck Seenotrettung: Innenministerium täuscht Bundestag – Volksverpetzer
Stellungnahme von 56 Organisationen gegen die Kriminalisierung von humanitärer Hilfe vom 21.11.2023, unterzeichnet u.a. von: Amnesty International Deutschland, Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland, Ärzte ohne Grenzen Deutschland, Brot für die Welt Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., Kindernothilfe e.V., Der Paritätische Gesamtverband, PRO ASYL, SOS-Kinderdörfer e.V., terre des hommes, u.v.m.