Wissen, wofür man da ist: Dora, Paul und Martin über ihre Freiwilligenarbeit an Bord der Humanity 1
Dora, Paul und Martin helfen derzeit als Freiwillige bei den Werftarbeiten in Augusta. Paul und Martin sind beide Zimmerer und unterstützen bei anfallenden Holzarbeiten. Beide haben schon bei vorherigen Werftarbeiten an Bord der Humanity 1 geholfen. Dora greift unserer Köchin Tine in der Bordküche unter die Arme und war, anders als Paul und Martin, auch schon bei einem Rettungseinsatz der Humanity 1 dabei.
Was sind derzeit deine Aufgaben an Bord der Humanity 1?
Paul: Momentan mache ich kleine Möbelstücke für die Brücke und ersetze ein paar Teile. Außerdem arbeite ich auf dem Bootsdeck. Das Holzdeck wurde angehoben, sodass Rostschutzmaßnahmen durchgeführt werden können. Wir müssen es danach wieder absenken, aber so, dass die Paneelen abnehmbar sind, um weitere Wartungsarbeiten an der Stahlkonstruktion, wie Rost klopfen, zu erleichtern. Dann muss man nicht die gesamte Struktur für die Reinigung demontieren, wie wir es in der letzten Werft in Burriana gemacht haben.
Martin: Das nächste Projekt ist der kleine Aufenthaltsbereich für die Crew, der noch eine Bank kriegen soll und mehr Stauraum. Auch der Fußboden muss dort gemacht werden, der kriegt neue hochklappbare Elemente, sodass es einfacher wird, bestimmte Bereiche freizuräumen. Ansonsten habe ich bislang an dem Kran gearbeitet und die neuen Schrauben angepasst, da sie einfach viel zu lang waren.
Was die Arbeiten erschwert, ist, dass wenig Material vorhanden ist und man immer nur mit Resten arbeiten kann. Auf dem Schiff ist es nicht möglich, wie sonst üblich, kurz in den Baumarkt zu fahren und alles Nötige zu holen. Hier ist das Geld halt immer knapp.
Was ist deine persönliche Motivation, um an Bord der Humanity 1 zu arbeiten?
Dora: Für mich gibt es zwei Aspekte: Der eine ist, dass ich politisch mit einer Organisation zusammenarbeite, deren Ziele ich unterstütze. Teil von etwas zu sein, ist wirklich großartig. Und dann ist der zweite Aspekt eher persönlicher Natur. Ich fühle mich in dieser Crew sehr wohl. Ich bin gerne hier und die Stimmung an Bord ist großartig, die Leute sind großartig.
Paul: Es geht darum, etwas zu tun und zu versuchen, die Situation im Mittelmeer zu verbessern. Menschen sterben auf dem Meer, weil sie versuchen, aus verzweifelten Situationen zu entkommen. Daher ist die Motivation offensichtlich.
Martin: Man hört so viel, man sieht so viel im Fernsehen, aber vor Ort sieht man, dass wirklich dringend Hilfe benötigt wird. Ich bin Anfang 2018 einen Einsatz mit einer Such- und Rettungsorganisation mitgefahren und das war heftig. Über die Jahre hinweg, war ich bei mehreren Organisationen, immer wo ich gerade gebraucht wurde. Ich lege mich da auch nicht fest, für mich ist einfach wichtig, was zu tun – so gut ich es mit meinem Beruf vereinbaren kann.
Woher kommt dein Interesse an der zivilen Seenotrettung?
Dora: Bevor ich SOS Humanity beigetreten bin, habe ich mich noch nie aktiv für die Seenotrettung engagiert. Allerdings habe ich schon immer davon gehört und es befürwortet, weil man in dieser Welt sieht, wie die Menschen geteilt sind. Einige Menschen haben das Recht, sich überall hinzubewegen, sie haben den richtigen Pass, sie können überall hingehen, und andere Menschen können das nicht. Sie müssen diese gefährlichen Reisen auf sich nehmen, nur um einen anderen Ort zum Leben zu finden, und das ist einfach unfair.
Das Leben der flüchtenden Personen ist genauso viel wert wie das aller anderen.
Paul: Ich habe nicht wirklich ein Interesse an der zivilen Seenotrettung. Ich habe eher ein Interesse daran, zu helfen.
Welche besondere Erfahrung hast du an Bord gemacht?
Dora: Was mich zum Beispiel überrascht hat, war, dass wir im achten Einsatz, in dem ich an Bord war, eine Rettung von 50 Menschen hatten, die auf einem überbesetzten Boot waren. Sie waren sehr lange auf See. Als sie an Bord unseres Schiffes gingen, brauchten viele Menschen Unterstützung beim Gehen, sie waren völlig erschöpft und dehydriert. Und dann, ein paar Tage später, in der letzten Nacht vor dem Einlaufen in den Hafen, waren alle glücklich und erleichtert, dass sie endlich an Land gehen konnten, und alle tanzten und spielten Musik. Es war einfach großartig diesen enormen Unterschied innerhalb von nur drei Tagen zu sehen, und in diesem Moment wird einem klar, dass wir uns wirklich gut um sie gekümmert haben, und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein.
Ich mag es, für sie zu kochen und ihnen zu helfen, neben dem guten Essen einen Moment der Ruhe zu haben. Denn manchmal haben sie schon seit einer Ewigkeit keine warme Mahlzeit mehr bekommen. Das ist meine Art, mich um sie zu kümmern.
In diesem Moment ist es egal, woher man kommt, was man durchgemacht hat oder wer man ist, man sitzt einfach zusammen und isst.
Paul: Ich denke, es ist einfach die Vielfalt der Menschen, die ich kennengelernt habe. Die Motivation und Hintergründe der anderen sind spannend und es ist faszinierend zu sehen, wie viel die Menschen aufgeben, um anderen Menschen zu helfen – das ist die beste Erfahrung von allen.
Ich sehe, wie die Leute damit umgehen, wenn sie von ihren Einsätzen zurückkommen. Letztens erzählte mir jemand, dass die sogenannte libysche Küstenwache ins Meer schoss, als Menschen im Wasser waren, weil sie vom Boot fielen.
Martin: Was ich sehr schön finde, ist, dass trotz der vielen Arbeit unter auch teilweise schwierigen Bedingungen und nach einem langen Tag, man doch noch lachende Gesichter zu sehen bekommt und dass alle wissen, wofür sie hier sind. Auch wenn man den ganzen Tag in den Tanks rumkriecht und Rost entfernt, ist da abends immer noch ein Lächeln. Wir machen das, um Leben zu retten.
Was sind deine Wünsche oder politischen Forderungen in Bezug auf die Situation im zentralen Mittelmeerraum und die Migrationspolitik?
Dora: Die wichtigste Forderung, die ich habe, sind sichere und legale Fluchtwege. Aber mit dem neuen Migrationsgesetz, das gerade verabschiedet wurde, geht es in die falsche Richtung. Es bedeutet mehr Externalisierung, Prozesse wie das Asylverfahren werden erschwert und Menschen werden schneller zurückgeschickt – ohne eine Chance auf Berufung.
Da ist es schlimm zu sehen, dass Europa immer höhere Mauern baut.
Paul: Ich schätze jeder hat das Gefühl, dass die Welt so läuft, dass man versucht, ein Pflaster auf ein Problem zu kleben. Und so läuft es auch, von den kleinsten bis zu den größten Problemen.
Und dann geht es darum, durch Bildung, Investitionen in Gemeinden und Gesellschaften, das Problem an der Quelle zu beheben. Ein guter Ansatzpunkt ist der Kapitalismus, das System muss sich ändern.
Martin: Dass auf der politischen Ebene im Moment kein Lichtblick zu sehen ist und sich das über die Jahre nur verschlimmert hat, ist absolut schrecklich. Auch dass immer noch die sogenannte libysche Küstenwache unterstützt wird, speziell von der italienischen Regierung, aber auch die weitere Militarisierung von Frontex oder auch die Verschärfung von Gesetzen ist einfach schlimm. Das Vorgehen wird immer aggressiver und dadurch wird es noch schwieriger Einsätze zu fahren.