Navigation und Nachtschicht: Die Rolle des zweiten Offiziers

Während unseres 13. Einsatzes im Juni 2024 ist Joshua unser zweiter Offizier an Bord der Humanity 1. Er arbeitet bereits seit Oktober 2023 für SOS Humanity und weiß, worauf es beim Navigieren eines Rettungsschiffes ankommt. Wir haben mit ihm über diese und seine anderen Aufgaben als zweiter Offizier sowie über seine Forderungen an die Europäische Union gesprochen.
Was hat dich motiviert, dich für die zivile Seenotrettung einzusetzen?
Meine Motivation, für die zivile Seenotrettung zu arbeiten, beruhte darauf, dass ich etwas anderes als die Berufsschifffahrt machen wollte, etwas Sinnvolleres. Ich denke, dass Migration normal und menschlich ist und dass niemand auf der Suche nach einem besseren Leben auf dem Meer sterben sollte.
Im Moment ist die Humanity 1 seit ein paar Tage zurück auf See. Was waren deine bisherigen Aufgaben?
Als zweiter Offizier an Bord bin ich der Navigationsoffizier des Schiffes und in dieser Funktion hauptsächlich für die Kursplanung, die Wartung der Navigationsausrüstung und die Aktualisierung der Karten und nautischen Veröffentlichungen zuständig.
Eine meiner Hauptaufgaben vor der Abfahrt war die Planung unserer Route von Sizilien zum Einsatzgebiet im zentralen Mittelmeer. Bei der Erstellung des Plans berücksichtige ich die Wettervorhersage, um sicherzugehen, dass sie für unsere Route günstig ist, und achte auch auf die Verkehrslage, die zwischen Malta und Sizilien besonders stark ist, da dies eine wichtige Route für weltweit operierende Handelsschiffe ist. Es ist wichtig, diese Faktoren zu berücksichtigen, zumal wir einige Übungen durchführen wollen, wie etwa Trainings mit den RHIBs (Schnellboote)-
Welche Rolle spielen die Brücke und der zweite Offizier während und nach einer Rettung?
Die Brücke ist 24 Stunden am Tag in Betrieb, so dass die Schiffsoffizier*innen jederzeit Wache halten können. Als Zweiter Offizier habe ich meine Brückenwache von 12 bis 4 Uhr morgens und von 12 bis 16 Uhr. Die Zeiten dazwischen nutze ich hauptsächlich zum Ausruhen. Zu meinen Aufgaben gehört es, bei unserer Ankunft im Einsatzgebiet ein Suchmuster zu erstellen, das uns hilft, effizient zu suchen und Boote in Seenot zu finden.

Während eines Rettungseinsatzes bin ich auf der Brücke entweder auf Wache, und navigiere unser Schiff, oder unterstütze andere Offizier*innen. Je nach Situation sind das Aufgaben wie die Suche nach Personen im Wasser oder anderen Booten in der Nähe, oder ich habe einen Überblick über neu eingehende Notrufe und zeichne sie auf unserer elektronischen Karte ein, um zu sehen, ob sie sich in der Nähe unserer Position befinden. Nach Abschluss der Rettung bin ich für die Planung des Kurses zu dem uns zugewiesenen sicheren Hafen verantwortlich.
Was sind deine Wünsche oder Forderungen an die Politik in Bezug auf die zivile Seenotrettung?
Ich denke, die Europäische Union (EU) muss mehr tun. Der Kampf, der seit Jahren im zentralen Mittelmeer geführt wird, ist ein Kampf um das Leben und gegen den gesellschaftlich und politisch organisierten Tod. Die europäischen Staaten haben an ihren Grenzen eine Zone geschaffen, in der alle von ihnen proklamierten Werte, ihre Menschen- und Bürgerrechte außer Kraft gesetzt sind. Das sollte nicht der Fall sein. Zivile Seenotrettungsorganisationen sollten nicht dafür kriminalisiert werden, dass sie eine Aufgabe erfüllen, die die Regierungen verweigert haben. Als Menschheit müssen wir es besser machen, wir können besser sein!
Die Antworten dieses Interviews wurden im Juni 2024 an Bord der Humanity 1 schriftlich vom Crewmitglied gegeben.