„Es ist besser, im Mittelmeer zu sterben als an Land in Libyen.“

Max Cavallari / SOS Humanity

Inhaltswarnung: Der Text beschreibt Formen von Gewalt.

Buba* ist 18 Jahre alt und kommt aus Gambia. Er wurde im Oktober 2022 von der Crew der Humanity 1 in internationalen Gewässern vor der Küste Libyens gerettet. Buba beschreibt die Erfahrungen seiner Flucht aus Libyen über das Mittelmeer.

Der Text entstand an Bord des Rettungsschiffes Humanity 1.

Ich bin in Libyen gelandet, aber ich wusste nichts über das Land. Ich habe einige der Geschichten gehört, von denen die Leute berichten. Ich habe schlimme Dinge gehört. Als ich dann nach Libyen kam, wusste ich, dass das, worüber die Leute reden, wahr ist.

Es gibt kein anderes Land wie Libyen. Es ist ein Kriegsgebiet. Die Menschen dort haben die Vorstellung, dass sie besser sind als Ausländer. Also behandeln sie sie, wie sie wollen. Es ist sehr schwierig zu beschreiben, wie sie mit uns umgehen. Man muss es selbst sehen, um zu verstehen, was sie mit uns Ausländern machen.

Ich habe dreimal versucht, das Meer von Libyen aus zu überqueren. Das war mein drittes Mal. Ich war dreimal im Gefängnis. Zwei Mal haben sie mich im Wasser abgefangen und einmal an Land. Ich musste bezahlen, um aus dem Gefängnis zu kommen. Einer meiner Freunde wandte sich an meine Familie, um mich gegen Kaution aus dem Gefängnis herauszuholen. Ich habe mein Land verlassen, um Geld zu verdienen. Aber das Geld, das ich an das Gefängnis bezahlt habe, war mehr als das, was ich für ein Studium in Gambia bezahlt hätte! Hätte ich das Geld für das Gefängnis in Gambia gehabt, dann hätte ich mein Studium abschließen können. Meine Familie hat das bezahlt, das ist verrückt.

Aber ich habe nicht aufgegeben. Ich musste es weiterhin probieren, um zu sehen, was Gott für mich in der Zukunft tun würde. Deshalb ging ich jedes Mal mit der Zuversicht auf das Meer, dass Gott mir vielleicht eines Tages helfen würde. Und als ich das Rettungsboot auf uns zukommen sah, dachte ich: „Oh mein Gott!“ Ich fragte die anderen Menschen auf dem Boot, ob das nun wirklich eine Rettung sei. Obwohl das Boot so nah war und ich sehen konnte, dass darauf „SOS Humanity“ geschrieben stand, konnte ich es nicht glauben. Denn ich habe es zweimal versucht, das Meer zu überqueren, und beide Male musste nach Libyen zurück. Aber dieses Mal ging es nach vorn. Das hat meine Gefühle wirklich verändert.

In so einem Boot über das Meer zu fahren, das ist verrückt, das ist nicht sicher. Die Boote sind für so etwas nicht gemacht.

Man sollte meinen, dass ein Mensch, ein normaler Mensch, nicht über hundert Menschenleben auf ein solches Schlauchboot setzt und ihnen sagt, dass sie auf diese Weise eine große Distanz zurücklegen sollen. Das ist ein Beispiel dafür, wie sich die Libyer verhalten. Das ist die Art und Weise, wie sie uns behandeln.

Es ist ohnehin ein sehr schreckliches Land. Libyen ist kein Ort zum Bleiben. Als wir in dem Haus wohnten und jemand sehr krank wurde, konnte er nicht ins Krankenhaus gehen. Wie kann man in so einer Gesellschaft bleiben? Sogar die Art und Weise, wie man die Menschen auf der Straße ansieht, spielt eine Rolle. Wenn du als Ausländer einer Frau in die Augen schaust, hast du ein Verbrechen begangen. In dieser Gesellschaft haben wir keinen Platz zum Leben.

Aber zurückzugehen ist nicht möglich, wegen der Kosten für den Weg, das haben wir auf dem Weg nach Libyen gelernt. Nach der langen Reise hat man keine Ersparnisse mehr. Der Rückweg würde bedeuten, dass man von null ins Minus rutscht. Wenn man die Zeit, die man in Libyen war, im eigenen Heimatland verbracht und dort etwas getan hätte, hätte man sich zumindest weiterentwickelt. Aber nun ist zurückzukehren keine Lösung mehr. Du musst einen Weg finden, nach Europa zu kommen, um dir zumindest dort ein neues Leben aufzubauen.

In Libyen, im Gefängnis, gibt es jeden Tag Gewalt, deshalb wollten wir weg.

Jedes Mal, wenn man versuchte, aus dem Gefängnis auszubrechen, gab es Leute mit Waffen. Es gab einen Mann, dem wir den Spitznamen „Commando“ gaben. Immer, wenn er sich dem Gefängnis näherte, hörte man den Ton seiner Waffe. Er wollte damit allen drohen, indem sie wissen, dass er kommt. Das allein ist schon verrückt.

Jedes Mal, wenn man versuchte, aus dem Gefängnis auszubrechen, hatten sie diese Metallstangen, vielleicht 1,5 Meter lang. Damit haben sie die Leute geschlagen. Manchmal haben sie den Leuten die Hände gebrochen. Einem meiner Freunde wurden auf diese Weise vier Knochen gebrochen. Manchmal warfen sie ein Auge auf einen und begannen dann, auf die Füße einzudreschen. Wenn dir das alles einmal passiert, dann wirst du eine Lösung für dich finden. Und die Lösung ist nicht, in Libyen zu leben. Sie besteht darin, das Mittelmeer zu überqueren und nach Europa zu gelangen.

Ich war mir bewusst, wie gefährlich die Überfahrt ist. Aber es ist besser, im Mittelmeer zu sterben als an Land in Libyen.

Denn dort ist man noch weniger wert. Wenn du im Mittelmeer stirbst, wird dein Körper vielleicht im Meer versinken. Aber wenn du als Ausländer in Libyen stirbst, weiß niemand, wo deine Leiche liegt. Sie werden sie mitnehmen und wer weiß, ob sie sie nicht wegwerfen. In Libyen ist nicht einmal dein toter Körper sicher.

* Der Name wurde geändert, um die Identität des Überlebenden zu schützen.
* Aufgezeichnet von Crewmitgliedern während des zweiten Einsatzes mit der Humanity 1.
* Bei dem Titelbild handelt es sich um ein Symbolbild.

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