“Ich wünschte mir, dass wir alle zusammen sterben würden”

Ein Kind im Hintergrund bläst Seifenblasen an Bord der Humanity 1.
Laurin Schmid / SOS Humanity

Bader und Jasina*, beide aus Syrien, sind mit ihren fünf Kindern aus Libyen geflohen. Die Überfahrt über das zentrale Mittelmeer war für sie die einzige Möglichkeit, der Spirale der Gewalt zu entkommen. Im Januar 2024 wurden sie von der Crew der Humanity 1 gerettet. 

*Namen geändert und Personen nicht auf den Fotos abgebildet 

Bader: Wir waren lange Zeit in Libyen: Meine Frau verließ Syrien 2012, ich 2009. Wir haben geheiratet und fünf Kinder bekommen.  

Die Situation in Libyen wurde verrückt. Denn es gibt viel Rassismus gegenüber syrischen Menschen. Die Leute fragten: Warum seid ihr hier? Ihr nehmt Geld aus unserem Land und so weiter. Wenn wir versuchten, einen Job zu finden, wollten sie uns keine Arbeit geben. Oder wenn doch, dann nur für sehr, sehr wenig Geld.

Das größte Problem war, dass in der Schule, in die unser ältester Sohn ging, Kinder entführt wurden.

Also haben wir beschlossen: Hier ist es nicht sicher. Wir werden unsere Kinder hier nicht zur Schule schicken. Aber dann gibt es keine Zukunft; die Kinder bekommen keine Bildung. Sie können nicht arbeiten. Im März 2023 begannen wir zu versuchen, Libyen zu verlassen. 

Die Schmuggler ködern dich mit Worten: “Das Boot kommt morgen, aber ihr müsst alles heute bezahlen”. Also zahlten wir eine Menge Geld und dachten, dass es morgen oder übermorgen kommen würde. Bei dem ersten Schmuggler mussten wir drei Monate in einem Lagerhaus warten, bis Mai, und jeden Tag sagten sie, “es wird morgen kommen” oder “wir brauchen mehr Geld”.  

In das Lagerhaus durfte niemand rein oder raus. Sie brachten Essen, aber nur alle drei oder vier Tage. Reis und Käse und ein Stück Brot, monatelang. Es war sehr schwer, die Kinder zu kontrollieren, weil sie immer wieder sagten, die Kinder müssten still sein, aber sie spielten und rannten herum. Ich wusste nicht, was ich den Kindern sagen sollte, denn ich wollte nicht sagen, dass wir im Gefängnis sind. Wenn die Kinder Lärm machten, kamen die Milizen und schrien sie an, schlugen und traten mich, um sie zum Schweigen zu bringen. Ich wurde deswegen oft geschlagen.

Jasina: Sie waren so aggressiv gegenüber den Kindern. Einmal wurde uns befohlen, ihnen den Mund mit Klebeband zuzukleben, um sie zum Schweigen zu bringen.

Manchmal wünschte ich mir, dass wir alle zusammen sterben würden.

Denn ich konnte mich nicht um meine Kinder kümmern und ich sah nur den Ausweg, dass wir alle zusammen sterben würden. Ich hatte immer Angst vor dem Schlaf. Ich hatte viele Albträume von Schießereien. 

Wir [Flüchtende] lernten uns alle kennen und halfen uns gegenseitig. Aber es war sehr, sehr riskant. Nach einigen Monaten sagte uns der Schmuggler, wir sollten zum Strand fahren. Aber da war kein Boot. Das war der erste Betrug.  

Meer und blauer Himmel und in der Ferne ein braunes Flüchtlingsboot mit Menschen an Bord.
Raphael Schumacher / SOS Humanity

Bader: Im August versuchten wir es erneut. Wir zahlten die Hälfte des Geldes im Voraus. Man sagte uns, es sei ein großes Fischerboot, sicher für Kinder und Familien. Sie sagten uns: Weil das große Schiff nicht so nah herankommt, müsst ihr zuerst in dem kleinen Boot fahren, um auf das große Fischerboot zu kommen. Das war die nächste Lüge. 

Das kleine Boot war nur 12 Meter lang und 2 Meter breit, und es waren 165 Leute an Bord. Weil das Boot überfüllt war, kippte es nach 10 Minuten durch die Wellen um. Das Wasser war nicht sehr tief, aber viele Menschen konnten nicht schwimmen. Also brachten die Männer, die schwimmen konnten, die Kinder und Frauen an den Strand und kamen wieder zurück. Wir wurden getrennt und es war sehr beängstigend, sehr chaotisch. 

Wir gingen von Schmuggler zu Schmuggler und zahlten eine Menge Geld. Als wir beim nächsten Schmuggler ankamen, blieben wir ein oder zwei Tage in seinem Haus. Er wollte meine Frau belästigen. Er öffnete die Tür von dem Zimmer, in dem sie schlief. Er sagte: “Ich möchte hier in diesem Zimmer schlafen.” Wir sagten: “Na ja, das Haus ist groß.”  

Er sagte: “Du redest nicht, du sagst mir nicht, was ich zu tun habe, du bist im Grunde ein Sklave. Du bist Syrer. Ihr habt keine Würde. Eure Frauen sind billig.” Er schlug mich auf den Kopf. 

Es gab fast nichts zu essen. Ich kämpfte so sehr, um Essen zu bekommen, vor allem für die Kinder.

Ich riskierte es, jeden Abend rauszugehen, wenn alle schliefen, denn die Kinder brauchen mehr als nur alle paar Tage zu essen, sie brauchen Milch und andere Dinge. Es gab überhaupt keine Möbel, nur Decken. Und von der Decke tropfte ständig Wasser. Es war nicht erlaubt, Licht anzumachen. Wir mussten im Dunkeln bleiben. 

Endlich wurde uns wieder gesagt: Es gibt ein Boot. 

Jasina: Unsere Kinder wurden die ganze Zeit unterdrückt, und jetzt fühlen sie sich frei. Jetzt, wo wir hier [an Bord] in Sicherheit sind, habe ich das Gefühl, dass ich ihnen sagen kann, sie sollen spielen gehen. Sie haben Raum zum Atmen, denn vorher gab es immer Spannungen.  

Mädchen bläst Seifenblasen an Bord der Humanity 1
SOS Humanity; Crossing Mediterranean Sea to Italy

Meine Tochter ist ein Jahr und zwei Monate alt. Ihr Vater und ich sind überrascht: Sie springt uns auf den Rücken und lacht. Wir sind so glücklich. Zum ersten Mal rennt unser kleines Mädchen jeden Morgen zu uns, um uns zu umarmen, und das ist in letzter Zeit nie passiert. Und die Kinder sagen: Wir wollen nicht zurück ins Lagerhaus, wir wollen hier auf dem Schiff bleiben.  

Für die Zukunft wünschen wir uns Stabilität, Sicherheit und dass die Kinder eine Ausbildung bekommen. Wir wollen, dass sie richtig essen und zu regelmäßigen Zeiten schlafen können und Spielzeug haben – dass sie ein normales Leben führen können.  

Ich habe die Kinder gerade gefragt, ob sie glücklich sind. Sie haben geantwortet: “So glücklich!” 

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