„Sie schlugen mich jeden Tag“ – Berichte geretteter Frauen über ihre Flucht und die Zeit in Libyen

Vor der Bordwand der Humanity 1 sind links Frauen und Kinder in Rettungswesten, rechts Mitglieder des Rettungsteams zu sehen.
Nicole Thyssen / SOS Humanity

Triggerwarnung: Der folgende Text befasst sich mit der Lebensrealität vieler Frauen auf der Flucht. Im Text werden verschiedene Formen (sexualisierter) Gewalt thematisiert und beschrieben.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Aktion zum Weltfrauentag #FrauenRetten.

Die Hälfte aller Menschen auf der Flucht sind Frauen und Mädchen.

Mit zunehmender Länge der Fluchtroute wird dieser Anteil jedoch immer geringer und so waren im Jahr 2020 nur 10 Prozent aller in Europa registrierten Geflüchteten weiblich [1, 2].

Diese Entwicklung lässt sich auf die häufig geringeren finanziellen Möglichkeiten, die Frauen zur Verfügung stehen, zurückführen. Darüber hinaus tragen sie oftmals die Verantwortung für Kinder und ältere oder kranke Familienmitglieder, was eine Flucht über lange Strecken weiter erschwert.

Obwohl Frauen aus ähnlichen Gründen wie Männer fliehen, sind sie zusätzlicher Gewalt ausgesetzt, weil sie Frauen sind. „Genderspezifische Gewalt“ umfasst unter anderem Genitalverstümmelung, Zwangsehen und Zwangsprostitution bis hin zu Vergewaltigungen als Kriegswaffe. Diese spezifischen Gefährdungen enden nicht mit dem Verlassen des Herkunftslandes.

Auch auf der Flucht sind Frauen spezifischen Gefährdungen ausgesetzt [...]. Angst ist der ständige Begleiter – Angst vor Gewalt und sexuellen Übergriffen, vor Hunger und Krankheit, dem Verlust von Angehörigen und vor einer ungewissen Zukunft. [3]
Gerettete Frau auf der Humanity 1. Nur der Oberkörper ist zu sehen. Sie trägt einen Pulli, hochgebundene Haare und neigt ihren Kopf lächelnd nach rechts.
Nicole Thyssen / SOS Humanity

Die Frauen und Mädchen, die wir retten und an Bord willkommen heißen dürfen, haben oft schon eine lange und gefährliche Flucht hinter sich. Vor allem in Libyen waren sie willkürlichen Inhaftierungen, menschenunwürdiger Behandlung und sexualisierter Gewalt ausgesetzt.

Die folgenden Augenzeug*innenberichte belegen auf erschütternde Weise, wieviel Kraft, Mut und Wille diese Frauen aufbringen müssen, um ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben in Sicherheit zu erfüllen.

Gefahren auf der Flucht und die unmenschliche Situation in Libyen

Marie*(20) aus Guinea wurde im Dezember 2022 gemeinsam mit ihrem Kind von der Crew der Humanity 1 gerettet. Hier berichtet sie von ihrer Flucht.

„Ich durchquerte die Wüste von Algerien. Auf der Durchreise wurde ich vergewaltigt, und aus der Vergewaltigung entstand dieses Baby. Als ich in Libyen ankam, war ich im vierten Monat schwanger.
[…]
Mein Baby wurde im Gefängnis geboren, eine Woche später haben sie mich entlassen. Ein Taxifahrer entführte uns erneut und verkaufte dann mich und mein eine Woche altes Baby an einen Mann. Ich blieb ein Jahr bei diesem Mann. Ich wurde zur Prostitution gezwungen, um für meine Freiheit zu bezahlen.“

Auch Akissi* (32 von der Elfenbeinküste), die gemeinsam mit ihrem Sohn und einem weiteren Jungen, den sie auf der Flucht in Obhut genommen hat, berichtet von den Gefahren auf der Flucht und in Libyen.

„Ich habe 7 Monate gebraucht, um nach Libyen zu reisen, weil ich kein Geld hatte. Meinen zweiten Jungen fand ich in der Wüste Sahara. Er war allein unterwegs; seine Mutter war gestorben.
[…]
Als ich mit meinen beiden Jungen das Meer erreichte, wurden wir von den Libyern gefangen genommen. Wir blieben acht Monate lang im Gefängnis; sie gaben uns nichts zu essen und schlugen die Mütter und Babys jeden Tag.“

Ihre Erfahrungen in Libyen schildert auch Aisha*. Die 25-jährige Kamerunerin wurde im Dezember 2022 aus Seenot gerettet.

„Ich wurde das erste Mal in Benghazi entführt, als ich 20 Jahre alt war. Ich war 1 Monat lang im Gefängnis, es gab kein Essen, kein Wasser und kein Licht – ich glaube, es war eine Art Parkplatz. Sie schlugen mich jeden Tag. Sie verlangten 5.000 libysche Dinar, aber ich hatte kein Geld.

Eines Tages kam der Entführer und – bang bang bang bang – fing an, auf alle zu schießen. Ich hatte Glück, dass sie mich nicht töteten. Ich rannte weg und entkam. Die Mädchen, die blieben, wurden zur Prostitution verkauft.

Ich fand einen Job als Kindermädchen in einem Haus, aber sie bezahlten mich nie, stattdessen schlugen sie mich jeden Tag.“

Von der Gewalt gegenüber Flüchtenden spricht Suzanne*. Sie war zusammen mit ihrem Baby in Libyen inhaftiert. Im Dezember 2022 wurde sie im zentralen Mittelmeer von unserer Crew gerettet.

„Die Libyer haben mein Baby so genommen [sie haben ihren Sohn aus der Kapuze des Pullovers gegriffen] und es auf den Boden geworfen. Ich habe geschrien und geweint, und als ich ihn zurücknahm, war sein Gesicht blutverschmiert. Ich habe so sehr geweint. Ich möchte nicht darüber sprechen, ich habe nicht die Kraft dazu.“

*Die Namen wurden geändert, um die Identität der Geretteten zu schützen. Die Portraitaufnahmen sind mit Einwilligung der Geretteten entstanden.
[1] UNHCR, Global Trends Report 2021
[2] UNHCR, Operational Data Portal – Refugee Situation – Mediterranean
[3] Post,Ulrich. 2016. „Blog. Frauen auf der Flucht.

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