Unsere Rede vom Iuventa-Aktionstag | 21.05.22 – Berlin

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Wanda Proft

Am 21.05. haben die Vorverhandlungen gegen vier Mitglieder der Iuventa-Crew und Mitarbeiter*innen zwei weiterer Organisationen in Trapani, Italien, begonnen. Den Angeklagten wird „Beihilfe zur irregulären Einreise“ vorgeworfen, weil sie Menschen aus Seenot gerettet haben.

Gleichzeitig fand ein bundesweiter Aktionstag statt. Auch SOS Humanity war unter dem Gesamtmotto des Tages „Fight For Solidarity. Stoppt die Kriminalisierung von Flucht und Seenotrettung!“ in Berlin mit auf der Straße. Lest hier unsere Rede vom Samstag – gehalten von Lisa, stellvertretende Vorstandsvorsitzende.

„Schön euch alle hier zu sehen – danke dass ihr heute raus auf die Straße gekommen seid!

Vor sieben Jahren wurde SOS Humanity unter dem Namen SOS Mediterranee Deutschland gegründet. Als Teil eines europäischen Verbundes waren unsere Rettungsschiffe im zentralen Mittelmeer im Einsatz, erst die Aquarius, dann die Ocean Viking.

Während die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Verantwortung systematisch missachten, haben schon nur diese beiden zivilgesellschaftlich finanzierten Schiffe fast 35.000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet.“

„Doch trotzdem kam allein dieses Jahr für mindestens 700 Menschen jede Hilfe zu spät – und das macht uns verdammt wütend!“

„Um noch mehr dagegen tun zu können, sind wir seit Anfang des Jahres losgelöst vom europäischen Verbund unter neuen Namen aktiv. Und bald auch mit einem neuen Schiff: die Sea-Watch 4 wird ab August als Humanity 1 in den Einsatz starten! Das ist auch deshalb möglich, weil Sea-Watch und United4Rescue uns solidarisch das Bündnisschiff überlassen, damit wir schnell wieder im Rettungseinsatz sind – tausend Dank euch dafür!

Uns neu aufzustellen, hilft auch dabei, die zivile Rettungsflotte so divers und breit wie möglich zu machen. Nur so können wir die Einschüchterung und Repressalien von europäischen Staaten und der dysfunktionalen libyschen Küstenwache abfedern.

Nur so sind wir weiter einsatzfähig, auch wenn einzelne Schiffe festgesetzt und ihre Crews angeklagt werden. Nur so sind wir als Community widerstandsfähiger gegen die Versuche der Behörden, uns zu blockieren!

Alle unsere Schiffe – die Aquarius, die Ocean Viking und die Sea-Watch 4 (also bald Humanity 1) – wurden mehrfach von italienischen Behörden festgesetzt. Sie konnten meist monatelang niemanden retten – unter bürokratischen Vorwänden, aber aus klar politischen Gründen.

Ende 2018 mussten wir das Schiff Aquarius auf Druck der italienischen Regierung komplett aufgeben.

Die Crews der Schiffe werden systematisch eingeschüchtert und geraten immer wieder in gefährliche Situationen auf See, ausgelöst durch Gewaltandrohungen, Umkreisungen und Warnschüsse der EU-finanzierten libyschen Küstenwache.

Auch an Land wird Hilfe kriminalisiert. Nicht nur durch bürokratische Schikanen oder sogar Strafverfolgung. Sondern auch durch Drohungen in sozialen Medien und gewaltsame Angriffe.

2018 wurde die französische Zentrale von SOS Mediterranee von rechten Aktivist*innen angegriffen, die unserer Mitstreitenden körperlich attackierten.“

„Aber wir dürfen nicht vergessen: am härtesten trifft es immer Menschen auf der Flucht selbst.“

„An Heiligabend letztes Jahr starben mindestens 11 Menschen bei einem Schiffsunglück vor der griechischen Insel Paros. Vor zwei Wochen wurden drei Überlebende in Griechenland zu insgesamt 439 Jahren Haft verurteilt.

Kheiraldin, Abdallah und Mohamad hatten angeblich das Boot gesteuert – doch meist fällt den Passagieren auf der Überfahrt diese Aufgabe zufällig zu.

Am Mittwoch fiel die Entscheidung im Prozess gegen die sogenannten „Samos 2“ in Griechenland: Ein Vater überlebte einen Schiffsbruch, verlor dabei seinen sechsjährigen Sohn und die griechische Küstenwache sah dabei zu. Deshalb drohten bis zu zehn Jahre Gefängnis – nicht etwa den verantwortlichen Beamten der Küstenwache wegen Verstoß gegen das internationale Seerecht, sondern dem Vater.

Die Fälle der Paros 3 und der Samos 2 – das sind keine Einzelschicksale, sondern gängige Praxis an den europäischen Außengrenzen. Diese Prozesse passieren meist abseits der breiten Öffentlichkeit. Dafür gibt es keine große Lobby, wie für Seenotretter:innen mit deutschem Pass.

Auch in diesem Bereich herrschen Rassismus und Doppelstandards zugunsten Weißer Menschen – nicht nur in den staatlichen Strukturen, sondern auch in dem Grad der öffentlichen Empörung, der zivilgesellschaftlichen Solidarisierung und der Medienöffentlichkeit.

Wir brauchen schnelles politisches Aktivwerden für alle schutzsuchenden Menschen!

Die Bundesregierung schreibt in ihrem Koalitionsvertrag, zivile Seenotrettung dürfe nicht behindert werden.

Was wir fordern, ist nicht nur, dass die zivile Seenotrettung nicht mehr schikaniert wird. Wir fordern ein europäisches, staatlich koordiniertes und finanziertes Seenotrettungsprogramm!

Wir fordern ein Ende der EU-Unterstützung für die dysfunktionale libysche Küstenwache, die das Völkerrecht systematisch bricht!

Und wir fordern ein Ende der rassistischen Ungleichbehandlung von Menschen an den EU-Außengrenzen! Wir sehen anhand des Krieges in der Ukraine, was alles möglich ist, um Flüchtende zu schützen, wenn der politische Wille da ist.

Die Bundesregierung und alle EU-Staaten müssen sich an geltendes Recht halten und einen sicheren Zugang zu fairen Asylverfahren für alle Schutzsuchenden gewähren – es darf keinen zwei-Klassen Flüchtlingsschutz geben!

Prozesse wie der gegen die Iuventa-Crew, die Samos 2 und die Paros 3 sollen uns handlungsunfähig machen, uns Angst machen und uns zermürben. Sie sollen uns an unserer Arbeit und unseren Werten zweifeln lassen.

Sie versuchen uns weiszumachen, dass es natürlich ist, dass es Grenzen überhaupt gibt. Dass es natürlich ist, dass nur bestimmte Menschen diese Grenzen überqueren dürfen. Und dass es normal ist, dass andere sterben bei dem Versuch das auch zu tun.

Lasst uns heute laut sein und die deutsche wie auch die italienische Regierung daran erinnern, dass es ihre verdammte Pflicht ist Leben zu retten – heute und an jedem anderen Tag!

Danke euch!

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