„Das Schweigen der Europäer*innen begünstigt die Gewalt“: Eric Mbiakeu im Gespräch über seine Flucht, seine Integration in Europa und seine politischen Forderungen

Eric Mbiakeu zusammen mit Till Rummenhohl und Hadnet Tesfai bei dem Special Screening von Ich Capitano in Berlin.
X Verleih AG

Eric Mbiakeu ist 2014 aufgrund der politischen Situation aus seiner Heimat Kamerun geflohen. Zunächst arbeitete er in Niger, dann wurde ihm in Libyen eine bessere Bezahlung versprochen. Dort angekommen, wurde er entführt und kam ins Gefängnis. 2016 sah er sich gezwungen, das Boot zu steuern, das nicht nur ihm selbst, sondern auch 155 anderen die Flucht über das Mittelmeer nach Europa ermöglichte. Bei der Ankunft in Italien wurde ihm daraufhin Menschenschmuggel vorgeworfen und er wurde verhaftet. Seit 2017 lebt Eric in Brandenburg an der Havel.

Welche Gedanken haben dich vor deiner Flucht begleitet?

Es gibt Sachen, die passieren, ohne, dass man Zeit hat, um sich darauf vorzubereiten. Ich war im Knast, das heißt mit 300 Menschen auf kleinsten Raum – ohne Hoffnung. Wenn es da irgendeinen möglichen Ausweg gibt, entscheidet man sich dafür, weil man dort raus möchte. Trotzdem weiß man in dem Moment nicht, was einen auf der Flucht erwartet. Natürlich hat man schon viel über die Flucht über das Mittelmeer gehört und davon, was den Menschen auf diesem Weg passiert ist. Auch, wie viele Menschen gestorben sind und da bekommt man Angst.

Doch wenn man den Weg schafft, ist dort Hoffnung. Dann bist du in Europa und weg von dem libyschen System. Der Gedanke an Europa steht für Hoffnung und für einen Traum.

"Wenn man in Libyen bleibt, ist das die Endstation."

Wie hast du dir die Flucht über das Mittelmeer vorgestellt und wie war es tatsächlich?

Ich wollte eigentlich nicht nach Europa, das war nicht das Ziel. Viel lieber wollte ich eigentlich nur aus Libyen raus und an einen anderen Ort, an dem ich frei sein kann.  Mir war bewusst, dass die Chance zu überleben gering ist, aber dort im Knast in Libyen hatte ich andererseits auch nichts mehr zu verlieren. Ich wurde angeschossen und hatte viele Brandwunden durch die Folter, daher musste ich die Entscheidung zur Flucht treffen. Und als der Motor auf unserer Flucht ausging, hat sich das Bild vom Mittelmeer als Friedhof bestätigt.

Als zivile Seenotrettungsorganisation werden wir immer wieder mit dem mehrfach wissenschaftlich widerlegten Mythos konfrontiert, die Anwesenheit unserer Rettungsschiffe auf dem Mittelmeer führe dazu, dass mehr Menschen flüchteten– wusstest du persönlich von der Präsenz von Seenotrettungsschiffen auf dem Mittelmeer und ist es tatsächlich so, dass die flüchtenden Personen hoffen, von NGO-Schiffen gerettet zu werden?

Nein, sie haben keine Ahnung, sie denken darüber auch nicht nach. Sie wissen auch nicht, wie die politischen Bedingungen sind, sie haben nur ihre Fluchtgründe im Kopf. Generell muss man erstmal bei den Fluchtgründen ansetzen, um die Leute zu verstehen. Das ist das Wesentliche.

Die Leute haben keine Informationen darüber, was auf dem Mittelmeer passiert. Sie flüchten nicht, weil sie auf dem Mittelmeer gerettet werden, sondern weil sie auf ein besseres und sichereres Leben hoffen. Manche Leute bezahlen dafür und andere können das nicht. Ich habe viele Leute getroffen, die aus politischen oder humanitären Gründen geflüchtet sind und dann überrascht waren, als sie gerettet wurden, weil sie diese Organisationen überhaupt nicht kannten. Die Organisationen sind auf dem Mittelmeer, um die Menschen zu schützen und sie in Sicherheit zu bringen, es gibt keinen direkten Kontakt zwischen ihnen. Wenn überhaupt, existiert diese Verbindung erst auf dem Schiff, wenn sie aufeinandertreffen.

"Die Organisationen sind da, um zu retten, aber die Menschen warten nicht darauf, gerettet zu werden."

Aus meiner Perspektive, als Bootsfahrer, aber auch als Mensch, kann ich sagen, dass es noch mehr Rettungskräfte auf dem Mittelmeer geben müsste. Aber vor allem müssen wir die Gründe bekämpfen, weshalb die Menschen nach Europa fliehen. Die Politik muss damit aufhören ihre Entscheidungen nach kapitalistischen Werten zu treffen und beginnen, den Menschen dort zu helfen, wo sie herkommen.

Dort ist das Problem, nicht am Mittelmeer.

"Die Situation auf dem Mittelmeer ist nur die Konsequenz aus diesen politischen Entscheidungen."

Welchen Einfluss hatte deine Fluchtgeschichte auf deine Integration in Europa?

Ich saß vier Monate in Italien im Knast, da ich das Boot steuern musste, mit dem wir über das Mittelmeer geflohen sind. Nachdem ich von dem Gericht freigesprochen wurde, war ich ohne Orientierung in Italien. Ich wollte nach Frankreich, weil ich Französisch spreche und dort meine Familie ist. Letzten Endes bin ich zu Fuß von Basel nach Deutschland gegangen, da ich kein Geld für die Reise hatte. Nach vier Monaten in Deutschland wurde ich dann mit dem Abschiebegesetz konfrontiert. Da ich nicht zurückreisen wollte, lebte ich zunächst obdachlos in Berlin.

Dort habe ich ein paar Organisationen gefunden, wo ich meine Geschichte erzählt habe, und dann hat sich alles von selbst entwickelt. Ich war dort dann aktiv und auch mit anderen Organisationen in Kontakt wie zum Beispiel Seebrücke, Welcome United und Borderline Europe, die mich sehr viel unterstützt haben. Aber es haben nicht alle die gleichen Chancen. Dadurch, dass ich meine Geschichte erzählt habe, habe ich weitere Kontakte bekommen, dabei kenne ich noch so viele andere Leute, die die gleiche Geschichte haben oder eine noch schwierigere, die nicht diese Chance bekommen haben und die ganzen Organisationen nicht kennen. Viele wollen ihre Geschichte nicht teilen, weil sie sich schämen und nicht in die Opferrolle wollen oder zu traumatisiert sind, um darüber zu sprechen.

Eric Mbiakeu bei der Panel-Diskussion nach dem Special Screening von Ich Capitano in Berlin.
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Ich hatte die Chance psychologische Betreuung zu bekommen, da ich durch meine Kontakte die UNHCR kennengelernt habe. Die haben mir ermöglicht zwei Jahre lang eine Therapie zu machen, was mir auch innerhalb meiner Integration sehr geholfen hat, weil ich meine Geschichte besser verstehen konnte.

Seit zwei Jahren schreibe ich nun ein Buch über meine Geschichte und leite den Verein Open Dreams in Brandenburg. Der Verein hilft vielen jungen Menschen, die zwar diese Hoffnung auf ein besseres Leben haben, aber wenn sie nach Deutschland kommen, durch Integration, Administration und die schwierige Sprache, ihren Traum verlieren. Und wir haben gesagt, das geht nicht, wir, die auch Opfer in dieser Situation sind und ein bisschen Ahnung haben, müssen darüber reden und daran arbeiten. Deswegen organisieren wir kulturelle Events oder Treffen mit jungen Menschen und versuchen die Leute zu empowern, zu motivieren. Wir unterstützen die Leute nicht nur hier in Deutschland, sondern machen auch Online-Beratungen mit anderen Leuten, die unterwegs oder in Italien sind.

Was wünscht du dir von der deutschen Gesellschaft, um die Integration zu vereinfachen?

Ich glaube die Leute in Deutschland haben ein schlechtes Bild von uns. Die Leute, die hierherkommen, haben nicht nur den Wunsch nach einem besseren Leben, sondern wollen auch arbeiten, doch die Türen sind verschlossen. Ich denke, dass wir uns gegenseitig kennenlernen müssen. Wenn wir uns kennenlernen, wird es einfacher. Wir sind Teil der Gesellschaft und wir wollen auch teilhaben. Natürlich muss sich die Integrationspolitik in Deutschland verbessern, aber die Gesellschaft muss genauso versuchen, unsere Geschichte zu verstehen und was wir in Europa machen wollen. Hier fehlen jedoch einfach die Möglichkeiten, besonders für diejenigen, die auf dem Land wohnen.

Was sind deine persönlichen Forderungen an die EU mit Blick auf die Migration und die Situation auf dem Mittelmeer?

Also erstmal Frontex abschaffen, weil es keinen Sinn hat über integrative Politik zu sprechen und gleichzeitig große Mauern an den Grenzen zu bauen. Ich verstehe, dass sie die Grenze schützen wollen, aber man muss die Politik und den kapitalistischen Einfluss nochmal überdenken und die Initiativen, die sich für die Integration einsetzen, unterstützen. Doch meine Forderungen richten sich nicht allein an die EU-Politik, sondern auch an die Menschen in Europa selbst. Denn das Schweigen der Europäer*innen begünstigt die Gewalt.

"Menschen in Europa, die sich nicht positionieren, überlassen die Entscheidungen der Politik und die Konsequenzen fallen auf die Gesellschaft zurück."
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