Politische Streamerin freiraumreh über ihren Beruf und Kommunikation zu ziviler Seenotrettung
Kim (aka freiraumreh) streamt auf Twitch sonntags bis donnerstags jeden Tag mehrere Stunden. Früher hat sie Gaming-Streams gemacht, heute redet sie über verschiedene emotionale Themen und politische Zusammenhänge. Die letzten beiden Tage hat sie an Bord der Humanity 1 gestreamt und mit acht Leuten aus der Crew und dem Team von SOS Humanity gesprochen. Ich treffe sie nach den Streams auf dem Schiff:
Wie bist du dazu gekommen, zu streamen und in deinen Streams über politische Themen zu sprechen?
Ich habe vor neun Jahren angefangen und tatsächlich entstand das durch Langeweile. Damals habe ich Gaming gemacht und bin dann in diese Streaming-Sachen reingerutscht. Es war also eher Zufall und Zeit zwischen Jobwechsel. Das ist krass, mir bewusst zu machen, was für ein riesiger Anteil in meinem Leben das Streaming jetzt mittlerweile ist: Ich habe fünf Jahre Gaming gestreamt, aber seit vier Jahren streame ich ausschließlich über politische, zwischenmenschliche Themen. Alles, was emotional ist, was Menschen bewegt. Und das ist eigentlich immer mit politischen Fragen verknüpft, deswegen sprechen wir mittlerweile über viele politische Inhalte.
Vor so fünf, sechs Jahren habe ich mich privat in eine neue Richtung entwickelt, ich habe mich da viel für Nachhaltigkeitsthemen – Minimalismus, Zero Waste, etc. – interessiert, und im Zuge dessen mein Leben danach umgestellt. Gleichzeitig schien mir das Gaming nicht das zu sein, was mich bewegt. Und immer, wenn ich die neuen Themen angeschnitten habe, hat das die Community begeistert. Mit der Zeit wurde es dann immer politischer. Es sind viele neue Menschen in den Streams, aber ein paar Leute sind auch schon seit 2015 dabei – deren Leben hat sich auch verändert und sie schauen weiterhin in die Streams. Das ist wirklich cool.
Wie ist es für dich, hier auf dem Rettungsschiff Humanity 1 zu sein?
Ganz andere Welt. Jetzt gerade, wo wir das Interview führen, komme ich aus zwei Stream-Tagen mit acht Interviews und ich habe ganz viele Eindrücke, Lebensformen und -realitäten mitbekommen – das fühlt sich an wie eine andere Welt, die ich viele Jahre verpasst habe.
Was nimmst du von den Gesprächen an Bord mit?
Was besonders im Kopf bleibt, sind die Betroffenenberichte, die ich aus zweiter Hand bekommen habe. Von Menschen, die auf diesem Schiff, auf dem wir gerade sitzen, zum ersten Mal an einem sicheren Ort waren. Und das zweite, was ich auch in meinem Stream thematisieren möchte, ist die politische Situation. Auf Europaebene passiert sehr viel und nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Ich gehe hier mit den Gedanken raus, was ich mit meinem Beruf und meiner Reichweite anstellen kann, was Veränderung bewirkt oder Leuten etwas mit auf den Weg gibt.
Was denkst du, wie wieder mehr auf Seenotrettung aufmerksam gemacht werden kann?
Ich glaube, vor allem die Kommunikation muss sich ändern. Seenotrettung hat jede*r schon mal gehört, aber keine*r hat eine richtige Vorstellung davon. Das ist so ein Begriff, mit dem wir nichts verbinden, jedenfalls nichts Reales. Es ist dringend nötig, dass wir weg von den populistischen Debatten kommen und hin dazu, ziviler Seenotrettung ein Gesicht zu geben, eine Bewegung oder ein Gefühl.
Was ich für mich mitnehme, ist auch die Frage, wie ich dazu beitragen kann, diese Debatten umzulenken. Wie reagiere ich auf eine Person, die in den Chat schreibt, wegen der Migrant*innen finde ich keine Wohnung mehr? Wie sage ich dieser Person: Ja, das Problem, das du hast, ist real, aber das ist keine Debatte, die wir auf dem Rücken der Seenotrettung oder Überlebenden von Seenot führen können. Das ist ja Bullshit. Wie lenken wir das wieder um? Ich glaube, es hängt sehr davon ab, dass wir Seenotrettung mit etwas verknüpfen, was der Realität entspricht und nicht der aktuellen politischen, rechtspopulistischen Debatte.
Wie gehst du mit rechten oder aggressiven Kommentaren in deinen Streams um?
In konkreten Fällen kann ich als Streamerin dort viel mit reinlegen – wenn ich aggressiv auf solche Kommentare antworte, werden die Leute auch aggressiv weiter antworten. Ich muss also abwägen dazwischen, mich selbst zurückzunehmen, obwohl ich eigentlich schreien möchte, weil ich die typischen Aussagen schon 5000-mal gehört habe, und dem Wissen, dass ich damit niemanden erreichen kann. Das heißt, ich versuche dann, mit Ruhe und Geduld auf die Kommentare zu antworten. Manchmal schaff ich es, Leute so abzuholen, aber natürlich auch nicht alle. Es ist wahrscheinlich eine 50/50-Quote von Menschen, die sich da in keiner Weise von ihren Aussagen abbringen lassen und anderen, die offen sind für andere Perspektiven.
Was wünscht du dir für die Kommunikation über zivile Seenotrettung?
Wir brauchen Seenotrettung als Transporteur einer Message und wir brauchen Menschen, die das übersetzen und nach außen tragen können. Ich glaube, dass können Seenotrettungsorganisation nicht allein leisten. Wir brauchen einen starken Journalismus und eine starke Politik, die Seenotrettung wieder ehrlich und realitätsnah vermittelt. Dazu können auch Influencer*innen beitragen. Wir brauchen Menschen, die Reichweite haben, die sich diesem Thema annehmen und es nach außen tragen können. Das würde ich mir wünschen, gerade von unserer breiten Masse an Influencer*innen.
[Dieses Interview wurde im September 2024 von Online-Praktikantin Hannah Förster an Bord der Humanity 1 auf Deutsch geführt und aufgezeichnet.]