„Europa würde sich gerne abschotten, aber nicht mit uns.“ Joachim über seine Verantwortung als Kapitän

Max Cavallari / SOS Humanity

Während unseres nächsten Einsatzes im Oktober 2024 wird Joachim Kapitän an Bord der Humanity 1 sein. Er arbeitet seit Ende 2022 für SOS Humanity und war auch schon vorher an Bord des Schiffes tätig. Wir treffen ihn im Hafen von Syrakus, auf Sizilien, während der laufenden Vorbereitungen für den nächsten Einsatz.

Was hat dich motiviert, dich für die zivile Seenotrettung einzusetzen?

Ich bin lange Zeit als Kapitän auf Cargo-Schiffen gefahren. Da bekommt man natürlich mit, was im Mittelmeer passiert.

"Als Seefahrer ist es für mich schwer zu ertragen, zu wissen, dass irgendwo Menschen allein gelassen werden und dass man sie einfach ihrem Schicksal überlässt."

Es war mir wichtig, dagegen etwas zu tun, weil wir von Anfang an gesehen haben, dass es geht, wenn man nur will. Die italienische Küstenwache hat 2014 die Rettungsoperation „Mare Nostrum“ gestartet und sie haben richtig viele Menschen gerettet und das auch sehr großflächig und professionell organisiert. Seit das politisch nicht mehr gewollt ist, [und Mare Nostrum gestoppt wurde,] finde ich gut, dass ich mich einbringen kann. Tatsächlich hat mich diese Arbeit dann auch immer mehr politisiert. Ich sehe, wie sich die ganze Diskussion verschiebt und Migration als Bedrohung dargestellt wird, auch in den eigentlich unverdächtigen öffentlich-rechtlichen Medien. Das hat für mich eine Dimension angenommen, dass ich sage: „Da dürfen wir nicht weggucken. Europa würde sich gerne abschotten, aber nicht mit uns.“

Jetzt gerade sind wir im Hafen, aber bald geht es wieder los: Was sind aktuell deine Aufgaben und was sind deine Aufgaben während des Einsatzes?

Ich bin immer dafür verantwortlich, dass das Schiff läuft. Wenn jemand nicht mehr weiterweiß, kommt die Person zum Kapitän. Also muss ich mir überlegen, was ich in jeder Situation machen würde, auch in Notfallsituationen. Jetzt im Hafen sind es viele administrative Aufgaben: Ich muss gucken, dass die Besatzungs- und Besucher*innenlisten aktuell sind, regelmäßige Sicherheitsübungen gemacht werden und letztlich bin ich auch dafür verantwortlich, dass genug Essen, Treibstoff und Wasser an Bord sind. Das ist alles unter meiner Aufsicht.

Gerätschaften auf der Brücke
Max Cavallari / SOS Humanity

Im Einsatz bin ich dafür zuständig, dass die Navigation sicher ist: Ich muss schauen, dass wir einen Reiseplan haben. Ich muss auch die Kommunikation mit Behörden durchführen, wenn es notwendig ist. Ich verbringe dann unheimlich viel Zeit am Telefon. Zum Beispiel versuche ich die maltesische Rettungsleitstelle zu kontaktieren, wenn wir in der maltesischen Such- und Rettungszone sind. Die gehen eigentlich, ähnlich wie die libysche Rettungsleitstelle, nie ans Telefon. Das ist ein Unding, denn es ist deren Job, Notrufe anzunehmen und nicht zu ignorieren.

Was magst du gerne an deiner Arbeit?

Ich mag das Schiff, was nicht unbedingt selbstverständlich ist. Mit SOS Humanity sind die richtigen Umbauten durchgeführt worden, die das Schiff brauchte, um ein vernünftiges Rettungsschiff zu sein. Ich finde das klasse, dass die Organisation aus dem Schiff richtig was gemacht hat. Das muss schon zusammenpassen, das Schiff und die Besatzung– das merkt man einfach und hier macht es mir auch Spaß, mit dem Schiff zu fahren.

"Und der Spirit, der kommt natürlich auch von der Besatzung, davon, mit einer Crew zusammenzuarbeiten, mit der ich ein gemeinsames Ziel habe. Wir sind alle Menschen, die Seenotrettung wichtig finden. Wir machen das, weil wir hier ein Team bilden, das auch was bewirken kann."
Kapitän Joachim während der Nachtwache
Max Cavallari / SOS Humanity

Was sind Herausforderungen oder schwierige Momente?

Sobald die sogenannte libysche Küstenwache während der Einsätze ins Spiel kommt, wird es schwierig. In diesen Momenten die richtigen Entscheidungen zu treffen, um Menschen zu retten und zu verhindern, dass sie illegal zurückgeschickt werden nach Libyen, kann schnell schwerfallen. Außerdem kann es passieren, dass wir zwei Seenotfälle haben, die beide ungefähr gleich weit entfernt sind. Wo fahren wir jetzt hin? Wir können nicht beide gleichzeitig retten, sondern nur nacheinander. Manchmal fehlen uns die Kriterien, um zu wissen, für welches Boot die Rettung dringender ist. Mit der Luftunterstützung, von zivilen Aufklärungsflugzeugen, ist das einfacher geworden. Sie können manchmal schon Orientierung geben über den Zustand der Boote, sodass wir dann erst zu denen fahren, wo es schlechter aussieht. Aber wenn ich diese Kriterien nicht habe und dann später höre, dass das andere Boot vielleicht gesunken ist oder eben nach Libyen zurückgeschickt wurde, sind das schon schwierige Momente.

Worauf freust du dich beim nächsten Einsatz?

Ich freue mich darauf, dass ich wieder eine tolle Crew haben werde. Während des Trainings mitzubekommen, wie die maritime Crew und die operative Crew zu einer Crew zusammenwachsen, ist immer schön zu sehen.

"Ich freue mich auf den Moment, in dem wir sagen, wir sind bereit zu retten, wir haben jetzt so viel trainiert – wir haben das Selbstvertrauen, ein kollektives Selbstvertrauen. Wir können jetzt das machen, wozu wir eigentlich da sind."

Ansonsten freuen wir uns nicht darauf, was wir hier machen, sondern es wäre schöner, wir müssten das gar nicht tun, das ist ja klar.

 

 

 

[Dieses Interview wurde von Hannah Förster und Louis Klausnitzer, (Online-)Kommunikationspraktikant*innen bei SOS Humanity, an Bord der Humanity 1 geführt.]

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