„Wenn sie dieses Kreuz gesehen hätten, hätten sie mich umgebracht.“

Gerettete Person hält einen Teller mit Essen in der Hand
Max Cavallari / SOS Humanity

Ashar* und Dina*, beide 24 Jahre alt, stammen aus Eritrea und haben im Juli 2024 das Mittelmeer über Libyen überquert.

*Namen wurden geändert und beide Überlebenden sind auf den Bildern nicht zu sehen, um ihre Identität zu schützen.

 

Ashar: Mein Name ist Ashar, und ich komme aus Eritrea. Ich habe Eritrea 2018 verlassen. Es ist kein friedliches Land. Wenn man in Eritrea keine Ausbildung hat und über 18 ist, muss man Soldat werden. Es gibt keine zeitliche Begrenzung, dein ganzes Leben lang. Männer und Frauen. Wenn man die Schule beendet hat, geht man zum Militär. Dort arbeitet man 6 Monate lang, dann studiert man 6 Monate lang theoretisch. Dann hat man eine Prüfung. Wenn man gut abschneidet, kann man an die Uni gehen, wenn nicht, wird man Soldat. Ich war also zwei Jahre lang bei der Armee. Dann wollte ich aussteigen und ging nach Äthiopien.

Dina: Mein Name ist Dina. Ich komme aus Eritrea und habe einen Abschluss in Computerwartung. Nach meinem Abschluss habe ich 10 Monate lang keine Arbeit gefunden. Ohne Arbeit konnte ich meine Familie nicht unterstützen.

Ashar: Von Eritrea nach Äthiopien haben wir die Grenze zu Fuß überquert. Für mich als Soldat war das illegal, also mussten wir uns unterwegs verstecken. Ich lebte und arbeitete vier Jahre lang in Äthiopien. Wir kamen über den Sudan nach Libyen. Als wir in Libyen an der Grenze von Kufra ankamen, steckten sie uns in einen Container – wie ein Lagerhaus. Viele Menschen sind dort, und man kann nicht raus. Nur wenn man zahlt. Das Leben ist so hart dort drinnen, so hart. Viele Menschen sterben da drin, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Und ich habe viele Geschichten gehört. Wenn du von Eritrea nach Äthiopien kommst, ist das ganz normal. Wir sind das gleiche Volk, haben die gleiche Religion und die gleiche Sprache. Im Sudan auch. Aber nicht in Libyen.

Wir hatten Glück. Wir haben sofort bezahlt, so sind wir rausgekommen. Aber viele unserer Freunde sind jetzt noch dort. Ich kann die Situation nicht erklären, es ist so hart.

"Die Männer schlagen dich jeden Tag - 'zahlen, zahlen!' Sie schlagen dich mit Metall, mit Stöcken, mit allem, was sie dabeihaben. Sie rufen deine Mutter an, deine Familie, und machen ihnen Angst: 'Wir werden ihn töten.'"

Wenn sie dich schlagen, wenn sie dich anschreien, rufen sie deine Familie an, oder sie nehmen den Ton auf und schicken ihn an sie.

"Viele Frauen, viele Mädchen, werden von ihnen entführt, und sie machen alles, was sie wollen. Mit sexueller Gewalt. Sie zwingen die Mädchen, zu kochen, oder das Haus zu putzen. Sie schlafen mit ihnen."

Das führt bei vielen Mädchen zu ungewollten Schwangerschaften und psychischen Problemen. Ich habe Glück, dass ich nicht angefasst wurde.

Ashar: Von Kufra aus sind wir mit einem Tundra-Auto, einem Pick-up, gefahren. Die Frauen kommen ins Innere des Wagens. In einem normalen Auto befördert man fünf Personen, aber hier kommen 20 in ein Auto. Sie zwingen dich, einzusteigen. Dann weint man lange Zeit. Zwei, drei Tage lang. Wenn du rauskommst, kannst du nicht mehr gehen. Du kannst nicht rennen. Das ist hart für die Frauen. Die Männer sitzen hinten auf der Ladefläche. Wir waren vielleicht 26 auf einem Lastwagen. Man sitzt so da, kann sich nicht bewegen, ist zusammengepfercht. Und man bekommt nichts zu essen. In der Nacht ist es kalt und tagsüber heiß. Wenn du sagst: „Ich fühle mich nicht wohl“, schlagen sie dich, um dir Angst zu machen.

Als wir in Tripolis ankamen, wurden wir gekidnappt. Wir wurden in ein Gefängnis unter einem Haus gesteckt. Als wir hinein gingen, schlugen sie uns. Dort war mal eine Frau, die schwanger war. Sie hat dort, im Gefängnis, entbunden. Wir haben davon gehört. Sie hat in ihren Kleidern entbunden, und sie hat keine Medizin bekommen. Für das Baby hat sie nur eine Windel bekommen. Im Gefängnis haben sie uns nur Nudeln gegeben. Es schmeckt nicht gut, aber wenn man leben will, muss man essen. Es gibt viele Freunde von mir, die dort gestorben sind. Sie wurden schwach. Wenn du stirbst, nehmen sie eine Decke, decken dich zu und werfen dich in die Sahara. Ich habe einen Freund dort drinnen, er war vier Jahre lang im Gefängnis. Sie haben ihn erschossen, weil er nicht gebetet hat. Aber wir hatten Glück, wir sind an einem Tag rausgekommen.

Person mit Maske trägt Kreuzkette
Max Cavallari / SOS Humanity

In Tripolis mussten wir viel mehr für die Miete unseres Hauses bezahlen als andere Leute. Wenn man normalerweise Nudeln kauft, kostet das einen Dollar. Wir haben sie für drei oder vier Dollar bekommen. Es ist also schwer, dort zu leben. Ich glaube an das orthodoxe Christentum. Ich musste mich jeden Tag verstecken. Wenn sie dieses Kreuz gesehen hätten, hätten sie mich umgebracht.

Dina: Denn in Libyen sind sie Muslime. Die Religion ist der Islam.

"Wenn du in ein Geschäft gehst, um etwas zu kaufen, fragen sie dich, ob du Christ oder Muslim bist. Wenn du sagst, du bist Christ, zwingen sie dich, Muslim zu werden. Sie schneiden deine Kreuz-Kette ab. Wenn du Geld oder ein Telefon hast, nehmen sie es dir weg."

Wir hatten Angst vor ihnen.

Ashar: In Libyen haben die Menschen keine Rechte. Sie reden nur über Geld. Selbst ein kleiner Junge oder ihre Söhne machen sich über dich lustig. Sie können dich ohrfeigen, alles. Sie haben kleine Messer. Die Kinder, fünf Jahre, drei Jahre: „Gib mir dein Geld, gib mir dein Telefon.“

Dina: Weil du Schwarz bist

"Sie sagen: 'Wir sind Europäer, wir sind arabische Emire. Nicht afrikanisch.' Wir sind Schwarz, also behandeln sie uns so."
Boot mit Flüchtenden im Vordergrund, RHIB im Hintergrund
Maria Giulia Trombini / SOS Humanity

Ashar: Wir haben nur in unserem Haus gekocht und gegessen. So haben wir drei oder vier Monate lang gelebt. Dann wollten wir es mit dem Boot versuchen. Also fuhren wir nach Sabratha und blieben dort einen Monat.

Es war unser erster Versuch, wir hatten Glück. Sehr viel Glück. Um 3 Uhr morgens machten wir uns auf den Weg zum Lager. Sie sagten uns, wir nehmen ein Glasfaserboot, aber sie schickten uns zu einem Schlauchboot. Es war schwer, das zu sehen, weil man die Hoffnung verliert, aber man hat keine andere Wahl. Wenn du versuchst, zurückzugehen, erschießen sie dich. Also: keine Wahl.

Dina: Mir war so schlecht im Boot, wegen des Geruchs des Treibstoffs. Es waren viele Leute um mich herum, die mich einengten. Ich musste mich übergeben. Es war sehr schwierig. Ich konnte nichts essen. Ich hatte zu große Schmerzen.

Ashar: Ich saß auf dem Plastik. Auf dem Kiel. Sie lag auf dem Boden des Bootes. Also hob ich sie hoch, um ihr frische Luft zu verschaffen. Aber es war gefährlich. Wenn jemand umgefallen wäre, wäre das ganze Boot gekentert.

Kette im Fokus, Wasser im Hintergrund
Max Cavallari / SOS Humanity

Dina: Alle sind glücklich, weil [wir gerettet wurden].

Ashar: Unser Glück ist, dass wir Libyen nicht wiedersehen, denn wir wissen, wie das Leben dort ist.

Wir sind beide Grafikdesigner. Wenn wir die Möglichkeit haben, wollen wir unser eigenes kleines Geschäft [in Europa] eröffnen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Und ich möchte Menschen helfen. So wie ihr. Ich liebe es, Menschen zu helfen.

Dina: Ich hoffe, dass ich als Photoshop-Designerin arbeiten kann. Wenn ich nach Europa gehe, würde ich gerne mehr über Fotografie und Computer lernen. Mein Traum ist es, Fotografin zu werden.

 

Dieses Interview wurde im Juli 2024 von Kommunikationskoordinator Lukas Kaldenhoff an Bord der Humanity 1 auf Englisch durchgeführt und aufgezeichnet.

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