„Der Mann, für den ich arbeitete, war ein Rassist“: Romeo über seine Zeit in Tunesien und die Flucht über das Mittelmeer
Romeo* stammt von der Elfenbeinküste und ist im Sommer 2023 aus Tunesien über das zentrale Mittelmeer geflohen. An Bord erzählt er seine Fluchtgeschichte und berichtet von den menschenverachtenden Lebensumständen, denen er ausgesetzt war.
Triggerwarnung: Der folgende Text enthält explizite Gewaltdarstellungen, körperliche Gewalt, rassistische Gewalt, Tod, Krieg, Rassismus
*Zum Schutz der Person wurde der Name geändert und sie ist nicht auf den Fotos abgebildet
Ich komme von der Elfenbeinküste. Ich habe meine Eltern während des Krieges verloren. Meine Mutter und mein Vater waren auf der Flucht vor dem Krieg. Sie wollten meinen Vater erschießen, er erlitt einen Schock, er wusste, dass er sterben würde. Ich hatte niemanden, der mir helfen konnte, ich musste mich selbst durchschlagen. Also verließ ich die Elfenbeinküste – zu Fuß.
Als ich in Mali ankam, traf ich einen Mann mit einem Auto, der mir anbot, mich nach Marokko zu bringen. Als ich ihm das Geld gab, stieg er ins Auto und fuhr mich bis nach Bamako, Mali, wo er mich absetzte. Er konnte nicht weiterfahren. Ich musste zu Fuß weitergehen, bis nach Libyen. Ich arbeitete, bis ich etwas Geld hatte. Dann lief ich weiter. Ich sagte zu meinen Freunden: “Wir können es nach Europa schaffen!”
Ich war noch zwei Wochen unterwegs, bis ich in Tunesien ankam. Der Mann, der mich anrief und nach Tunesien brachte, verkaufte mich wie einen Sklaven. Ich habe unter sehr schwierigen und harten Bedingungen gearbeitet. Der Mann, für den ich arbeitete, war ein Rassist. Abgesehen von diesem Mann hatte ich kein Problem mit den Menschen in Tunesien.
Eines Tages, als ich sehr krank war, sagte ich: “Ich kann nicht zur Arbeit gehen.” Sie nahmen eine Eisenstange und schlugen mich. Jemand hat mich geschlagen und meine Haut hier zerrissen [zeigt auf Narben an den Armen]. Er schlug mich noch einmal. Ich musste mein Gesicht schützen, sonst hätte es meine Augen zerstört. Und ich werde dir auch nicht alles zeigen, denn ich habe viel verloren. Einer meiner Hoden ist gebrochen. Siehst du, das ist es, was er getan hat. Nur noch einer ist übrig. Ich habe oft Schmerzen.
Ich weiß nicht, wie die Stadt heißt, in der ich war, weil ich nie rausgegangen bin. Er hielt mich im Haus fest. Ich durfte nicht rausgehen. Dort haben sie mich nicht bezahlt.
Er sagte mir, wenn ich reden würde, würde er mich zur Polizei bringen, weil wir Schwarzen dort keine Rechte haben. Es ist nicht weit von Sfax. Dort befindet sich das Polizeilager. Aber den genauen Namen weiß ich nicht mehr.
Ich hatte den ganzen Weg zurückgelegt – aber ich konnte nicht weitergehen.
Alles, wirklich alles ist von Narben bedeckt. Er hat mich geschlagen, die Haut war zerrissen. Ich musste weglaufen. Nach zwei Jahren hatte ich kein Geld mehr. Ich musste weglaufen, um bezahlte Arbeit zu finden. Ich habe dort auf den Baustellen gearbeitet. Ich arbeitete, ich schlief, das war´s. Ich konnte mein Geld behalten. Ich musste arbeiten, um von dort wegzukommen.
Wir wurden nicht gezwungen, auf das Boot zu gehen, aber wir hatten keine andere Wahl. Das Leben in Tunesien ist im Moment schrecklich, es ist sehr, sehr, sehr schwer für uns. Also mussten wir fliehen.
Warten auf eine Fluchtmöglichkeit
Das Boot war klein. Wir haben einen Tag auf dem Boot verbracht. Vielleicht hätten wir auch zwei Tage durchhalten können, aber wenn ihr nicht da gewesen wärt, hätte uns irgendwann der Tod eingeholt.
Bevor wir aufbrachen, verbrachten wir fünf Tage im Busch, ohne zu essen oder uns zu waschen. Das war nicht unsere Entscheidung: Der Mann, der die Reise arrangiert hatte, sagte: „Wenn wir euch am nächsten Tag am Abend absetzen können, nehmen wir euch mit.“ Aber als er uns absetzte, war das Wetter schlecht. Um die Reise anzutreten, mussten wir fünf Tage lang warten.
Wir stachen um zehn Uhr in See. Ein eisernes Boot. Es war sehr wenig Platz. Der Motor gab den Geist auf. Das Wetter wurde immer schlechter. Die See wurde immer schlimmer, die Wellen waren zu groß. Wir gerieten in Panik und fingen an zu weinen. Wir waren neununddreißig Leute. Es waren zwei Kinder an Bord und eine schwangere Frau.
Ich dachte, für mich wäre alles vorbei. Das habe ich mir eingeredet. Es war in letzter Minute, vielleicht um neun Uhr abends, als ihr ankamt, der Himmel war bleiern.
Aber dank der Herrlichkeit Gottes seid ihr gekommen, um uns zu retten. Was wir durchgemacht haben, war schrecklich. Ich danke dem Herrn, dass ich noch lebe und hier bin, um mit dir zu sprechen. Wenn ihr nicht gewesen wärt, würden wir heute nicht hier sitzen und sprechen. Wenn ich Gott danke, muss ich auch euch danken.
Ich habe schon einmal gebetet, als ich in Tunesien war, aber mein Chef hat mich daran gehindert. Denn sie sind Muslime und ich bin Christ. Was Gott mir gezeigt hat, dass ich im letzten Moment entkommen konnte, war ein Wunder Gottes.
Erstversorgung an Bord
Als ich an Bord kam, kam ich zweimal in die Klinik, weil mir alles weh tat. Jetzt habe ich Schmerzen. Wenn ich schlafen will, ist es schwer. Wir konnten uns auf dem Boot nicht bewegen.
Ich hatte eine Freundin in Tunesien, meine einzige Familie. Meine Freundin ist auch hier an Bord, wir sind zusammen gekommen. Sie ist jetzt auf dem Schiff. Aber als ich sie darauf ansprach, ihre Lebensgeschichte zu erzählen, wollte sie das nicht. Sie sagte: „Wie kann ich meine Geschichte erklären?“
In Europa hoffe ich auf Asylschutz. Ich möchte in Sicherheit sein, das ist mein Wunsch. Denn ich habe niemanden, der sich um mich kümmert. Das ist alles, was ich will.
Das Gespräch wurde von Sasha Ockenden, Kommunikationskoordinator an Bord der Humanity 1, auf Französisch geführt und aufgezeichnet.