„Du bist nicht einmal ein Mensch“: Victor berichtet über seine Flucht aus dem Sudan

Laurin Schmid/ SOS Humanity

Victor aus dem Sudan ist im Frühling 2023 aus Libyen über das zentrale Mittelmeer geflohen. An Bord erzählt er seine tragische Fluchtgeschichte.

Mein Name ist Victor. Ich komme aus dem Sudan und bin 29 Jahre alt. Ich habe die Sekundarschule, das Gymnasium und sogar die Universität besucht. Und ich hatte Englischunterricht am Institut des English Culture Centre.

In unserem Land gab es Diskriminierung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Politik und Kultur. Ich litt unter diesen Umständen. Nicht nur die Gesellschaft, sondern auch durch die Regierung, Freunde und sogar Familienmitglieder waren anderer Meinung als ich und ließen mich nicht unabhängig denken.

"Ich hatte das Gefühl, dass ich dort nicht hingehörte."

Im Dezember 2018 war ich Teil der Revolution. Wir forderten eine Veränderung. Wir kämpften für unsere Rechte. Am 31. Dezember begannen sie mit scharfer Munition auf uns zu schießen. Ich sah wie einer meiner Freunde, der mir sehr nahe stand, angeschossen wurde und zu Boden fiel. Wir rannten los, um zu entkommen. Es gab laute Explosionsgeräusche, die sich als Rauchbomben herausstellten.

Wir bewegten uns von einem Haus zum anderen
. Die Polizei kam uns immer näher sie wussten, dass wir drinnen waren. Sie begannen, Rauchbomben in das Haus zu werfen. Ich versuchte, mich an irgendetwas festzuhalten, um die Wand hochzuklettern. Dabei habe ich mir versehentlich an einem Muskel meines linken Beins eine Schnittwunde zugezogen. Ich konnte meine Finger nicht mehr spüren, während ich rannte. Aber ich schaffte es, der Polizei zu entkommen, indem ich einfach weiterlief.

Wir beschlossen, ins Krankenhaus zu gehen, aber der Sicherheitsdienst kam. Das war eine schlechte Situation.

"Wenn sie eine andere Meinung als du haben, behandeln sie dich schlecht, ohne sich an irgendwelche Regeln zu halten."

Später in der Nacht wurde ich dann operiert. Nach 15 Tagen war ich wieder gesund.

Anfang des Jahres 2021 verließ ich dann den Sudan. Ich fuhr in den Tschad, in das Grenzgebiet zwischen dem Sudan und dem Tschad, in einem Toyota Land Cruiser mit etwa einunddreißig oder zweiunddreißig Leuten hinten im Auto. Sie sammelten unser Geld ein. Sie erlaubten uns nicht, es bei uns zu behalten, sondern sagten uns, dass wir unterwegs auf Leute treffen würden, die unser Geld stehlen könnten. Wir brauchten viereinhalb Tage für die gesamte Fahrt. Während der Durchquerung der Wüste hatten wir nicht genug Wasser und es war schwierig, ausreichend zu schlafen. Sie taten alles, uns zum Schweigen zu bringen, und schlugen uns sogar mit dem Gewehrkolben einer Kalaschnikow. Sie schlugen uns auf den Hinterkopf.

Als wir schließlich die Grenze zwischen dem Tschad und Libyen erreichten, gaben sie uns nicht das Geld zurück, das sie uns zuvor abgenommen hatten. Stattdessen setzten sie uns in den Schatten eines großen Baumes. Sie sagten uns, dass sie in nur fünf Sekunden zurückkommen würden. Doch sie kamen nie zurück. Sie ließen uns einfach dort zurück.

Wir gingen zu einem Ort namens Kourri im Tschad, in dem Gold abgebaut wird. Wir schürften einen Monat und 19 Tage lang nach Gold. Ich machte einen Deal mit einem Schmuggler, der Menschen aus dem Tschad nach Libyen schmuggelte. Ich gab ihm das Gold, das er wollte, und im Gegenzug nahm er mich in seinem Auto mit nach Libyen.

"In Libyen behandelten sie uns wie Sklaven, als ob wir keine Menschen wären."

Ich fing an, in Zuwara mit einem Mann zu arbeiten, der mich furchtbar behandelte. Er war ein Teufel. Er sagte Dinge wie: „Du bist nicht einmal ein Mensch.“ Ich wollte nur noch weg. Ich hatte Angst, dass er einen Weg finden würde, mich zu wieder einzufangen, wenn ich versuchen würde zu fliehen. Er hatte gute Verbindungen zu den Leuten in der Stadt, dem Sicherheitspersonal und der Polizei.

Eines Tages machte ich bei der Arbeit einen kleinen Fehler. Als er meinen Fehler bemerkte, nahm er einen großen Schraubenschlüssel und schlug mir damit auf den Rücken. Alle anderen wurden Zeugen dieser Situation. Er versuchte, mich mit seinen Händen zu schlagen und warf mir den Schraubenschlüssel gegen den Rücken.

"Ich wusste, dass ich stärker war als er, aber das war nicht der richtige Ort, um mich zu verteidigen."

Ich konnte nichts tun. Ich konnte nicht einmal sprechen. Er sprach ohne jedes Mitgefühl und behandelte mich, als hätte ich keine Seele.

Wir hatten einen Deal mit einem Schmuggler, der Menschen von Libyen nach Italien schmuggelte. Ich gab ihm das Geld etwa zwei oder drei Monate bevor ich das Boot betrat. Der Schmuggler rief uns an und sagte uns, dass wir für die Überfahrt bereit sein sollten. Sie brachten uns an einen Ort in Küstennähe. Wir liefen zum Strand und begannen, Dinge wie ein Gummiboot, Holzplanken und einen Motor zusammenzubauen. Wir setzten alle Teile zusammen und als es fertig war, befahl man uns, das Boot über unsere Köpfe zu heben und es ins Wasser zu setzen. Dann mussten wir so schnell wie möglich in das Boot springen. Wenn wir uns nicht schnell genug bewegten, konnten sie uns zurückschicken. Tatsächlich schickten sie zwei Leute zurück. Ich kannte ihre Namen nicht.  

Foto von starkem Wellengang auf dem Mittelmeer.
Maria Giulia Trombini/ SOS Humanity

Als die Wellen höher wurden und das Boot zu schwanken begann, dachte ich, wir könnten sterben. Ich saß zunächst am Rand des Bootes, aber ich ging in die Mitte, als mich die Angst überkam. Einige Leute um mich herum sagten, dass sie nicht wüssten, wohin wir fahren würden oder wo wir uns befanden. Alle waren unruhig. Weil niemand an seinem Platz blieb, schwankte das Boot. Alle machten Lärm, bewegten sich und versuchten, das Wasser aus dem Boot zu schaufeln. Wir dachten, dass wir vielleicht nicht überleben würden.

"Ich kann zwar gut schwimmen, aber mit diesen Wellen hätte ich es nicht aufnehmen können."
Foto von einem Holzboot vor der Humanity 1 in der Dämmerung auf dem Mittelmeer.
Jana Stallein/ SOS Humanity

Nach einer Weile wurden sie ruhig. Dann sagten sie, dass ein libysches Boot zu uns gekommen sei. Wir waren beängstigt. Nach einer halben Stunde merkte jemand, dass es kein libysches Boot war, sondern ein Rettungsboot.

Ihr habt uns in diesem Moment wieder Erleichterung und ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Dafür bin ich euch allen sehr dankbar.

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