Wusstest du schon…?

Die Humanity 1 (Rettungsschiff von SOS Humanity) in gelb und blau, daneben das schnelle Rettungsboot RHIB und im Hintergrund die Morgen- oder Abendsonne auf dem Mittelmeer.
Wasil Schauseil / SOS Humanity

10 Fragen und Antworten zu unserer Arbeit als zivile Seenotrettungsorganisation

SOS Humanity lebt von all denen, die sich als Teil der Zivilgesellschaft dem Sterben im Mittelmeer entgegenstellen. Sie ermöglichen unseren lebensrettenden Einsatz erst. Deshalb ist es uns ein großes Anliegen, die Gründe, rechtliche und politische Basis sowie die Art und Weise unserer Arbeit transparent zu machen. Besonders zu Zeiten, in denen viele missverständliche oder falsche Informationen zur zivilen Seenotrettung kursieren, ist es umso wichtiger auf belegbare Fakten hinzuweisen. Oder wusstest du schon: 

…warum überhaupt so viele Menschen über das zentrale Mittelmeer fliehen, wenn diese Fluchtroute so gefährlich ist?

Das zentrale Mittelmeer ist die tödlichste Fluchtroute der Welt. Doch weil es keine regulären, legalen und sicheren Fluchtwege in die EU gibt, riskieren Menschen auf der gefährlichen Überfahrt ihr Leben. Gründe dafür sind etwa Kriege oder bewaffnete Konflikte in den Herkunftsländern der Menschen, drohende Zwangsheirat, Verfolgung, Folter oder die Suche nach einer Zukunft mit Bildung, Würde und Sicherheit. Viele fliehen auch aufgrund der Gewalt, die sie in Libyen und Tunesien erfahren, aufgrund des Menschenhandels und willkürlicher Inhaftierungen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ein Zusammenhang zwischen der Anwesenheit von Rettungsschiffen und der Anzahl von Abfahrten wurde mehrfach durch wissenschaftliche Studien widerlegt. Weniger Rettungsschiffe führen nicht zu weniger Flüchtenden, sondern zu mehr Toten auf der Flucht.

Humanity 1 (Rettungsschiff der NGO SOS Humanity) auf dem Mittelmeer.
Wasil Schauseil / SOS Humanity

…was es bedeutet, dass die Humanity 1 unter deutscher Flagge fährt?

Der Flaggenstaat eines Schiffes ist jenes Land, in dem ein hochseetüchtiges Schiff registriert oder lizensiert ist. Die Flagge, unter der ein Schiff fährt, gilt als Nationalität des Schiffes. Der betreffende Staat hat somit die Zuständigkeit und Verantwortung für das Schiff. Das bedeutet, dass Flaggenstaaten dafür verantwortlich sind, dass alle Schiffe unter ihrer Flagge die Pflicht zur Seenotrettung einhalten und die Anweisungen der zuständigen Rettungsleitstellen befolgen (UNCLOS Art. 98).  Die Zuweisung eines sicheren Ortes, oft „sicherer Hafen“ genannt, liegt nicht in der Verantwortung des Flaggenstaates , sondern bei den Küstenstaaten,  in deren Such- und Rettungsgebiet die Rettung stattgefunden hat.

 

Kapitän der Humanity 1 steht in der Brücke und spricht ins Funkgerät.
Max Hirzel / SOS Humanity

…was eine Rettungsleitstelle ist?

Rettungsleitstellen sind für die effiziente Organisation und Koordination von Such- und Rettungseinsätzen innerhalb eines bestimmten Seegebiets zuständig. Laut des Seerechtsübereinkommens sind die Küstenstaaten nicht nur dazu verpflichtet, dass jeder in Seenot geratenen Person geholfen wird, sie müssen auch die dafür nötigen Such- und Rettungseinheiten bereitstellen und koordinieren. müssen jederzeit erreichbar sein und englisch-sprachige Mitarbeiter im Dienst haben. Neben der Koordination von Seenotfällen sind die Seenotrettungsleitstellen auch zur Zuweisung eines sicheren Ortes für die Ausschiffung von aus Seenot geretteten Personen verpflichtet.

…wie SOS Humanity mit den zuständigen Behörden und Rettungsleitstellen zusammenarbeitet?

Unsere Crew an Bord der Humanity 1 ist während eines Einsatzes in stetigem Kontakt mit den zuständigen Rettungsleitstellen. Wenn die Crew auf dem Weg ins Einsatzgebiet ist, um dort Menschen aus Seenot retten zu können, wird eine E-Mail ausgesendet, um allen relevanten Behörden mitzuteilen, dass sie bereit ist zu retten und bei Seenotfällen koordiniert zu werden. Auch bei Meldung, Sichtung und Rettung eines Seenotfalles informiert die Crew stets alle zuständigen Behörden. Nach internationalem Seerecht ist jede*r Kapitän*in dazu verpflichtet, eine Rettung einzuleiten, unabhängig davon, ob eine Rettungsleitstelle ihrer Pflicht zur Koordinierung nachkommt oder nicht. Wenn Rettungsleitstellen nicht oder zu spät reagieren, Notrufe unbeantwortet lassen oder nicht weiterleiten, verstoßen sie dabei gegen das Seerechtsabkommen.

 

…welche Rettungsleitstelle im zentralen Mittelmeer für welches Gebiet zuständig ist?

Das zentrale Mittelmeer ist durch das Seerechtsübereinkommen in drei Such- und Rettungsgebiete eingeteilt. Italien, Malta und Libyen müssen in ihren jeweiligen Gebieten die effektive Koordination von Such- und Rettungseinsätzen inklusive der Zuweisung eines sicheren Ortes für die geretteten Menschen gewährleisten. Reagiert die zuständige Rettungsleitstelle nicht, sind die umliegenden Küstenstaaten dazu verpflichtet, diese Aufgaben zu übernehmen.

…was bei einem Pull-Back und was bei einem Push-Back passiert?

Die völkerrechtswidrige Praxis, Menschen auf der Flucht an einer Landesgrenze zurückzuweisen, ohne die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen, wird als „Push-Back“ bezeichnet. Internationales Menschen- und Flüchtlingsrecht verbietet, Menschen in einen Staat zurückzuzweisen, in dem ihnen Verfolgung, Folter oder andere schweren Menschenrechtsverletzungen drohen (Non-Refoulement). Ohne eine individuelle Schutzprüfung dürfen Küstenstaaten wie Italien und Malta dürfen demnach Menschen auf der Flucht nicht aus- oder zurückweisen. Menschen an der Flucht zu hindern oder sie in das Land zurückzuzwingen, aus dem sie fliehen, wird als Pull-Back bezeichnet. Im zentralen Mittelmeer fängt die sogenannte libysche Küstenwache Menschen, die aus Libyen fliehen, auf See ab und bringt sie gewaltsam zurück. Dort sind sie schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Mit dieser Praxis verstößt Libyen gegen internationales Menschen- und Flüchtlingsrecht. Oft sind europäische Akteure direkt an illegalen Pull-Backs beteiligt, wenn beispielsweise Frontex Koordinaten von Booten in Seenot an Libyen, aber nicht im Gebiet befindliche Rettungsschiffe weiterleitet. Durch die finanzielle Unterstützung der sogenannten libyschen Küstenwache ermöglicht die EU zudem indirekt illegale Rückführungen nach Libyen.

Flugzeug vor blauem Himmel mit weißer Wolke im unteren Teil des Fotos.
Danilo Campailla / SOS Humanity

…wie die Crew der Humanity 1 überhaupt auf Seenotfälle aufmerksam wird?

Da die europäischen Staaten ihrer Pflicht zur Koordination von Seenotfällen im zentralen Mittelmeer nachkommen, sind wir auf die Arbeit anderer maritimer und vor allem zivilgesellschaftlicher Akteur*innen abhängig. Über die zivile Notfallhotline für Menschen in Seenot – das Alarm Phone – und die zivile Luftaufklärung mit Flugzeugen von Sea-Watch und Pilotes Volontaires werden uns Notrufe  von Menschen in Seenot weitergeleitet. Oft werden Boote aber auch während des Ausgucks entdeckt, bei dem Crewmitglieder das Meer nach Seenotfällen absuchen.

Flüchtlingsboot mit mehreren Personen von hinten auf dem zentralen Mittelmeer.
Arez Ghaderi / SOS Humanity

…wann sich Menschen in Seenot befinden?

Ein Seenotfall beschreibt dass sich Menschen an Bord eines Boot in einer unmittelbaren Notlage befinden und ohne sofortige Hilfe von außen aus dieser nicht mehr herauskommen. Solch eine Notsituation liegt zum Beispiel vor, wenn ein Boot manövrierunfähig ist, wenn die Anzahl der Menschen an Bord die Kapazitäten des Schiffes übersteigt oder wenn es an Rettungsausrüstung wie Rettungswesten mangelt. Die Boote, dievon Libyen oder Tunesien aufbrechen sind in der Regel überbesetzt, ohne jegliche Rettungsausrüstung und ohne ausreichend Treibstoff unterwegs. Damit befinden sie sich bereits ab dem Zeitpunkt, an dem sie die Küste verlassen, in Seenot. Es ist unsere rechtliche und humanitäre Pflicht, alle in Seenot geratenen Menschen zu retten und an einen sicheren Ort zu bringen – ungeachtet ihrer Nationalität, ihres Status oder der Umstände, in denen sie sich befinden.

 

…welche Kriterien ein „sicherer Ort“ erfüllen muss?

Ein sicherer Ort ist laut Artikel 2 der EU-Richtlinie 656/2014 „ein Ort, an dem eine Rettungsoperation als beendet betrachtet werden kann. Es ist auch ein Ort, wo Leben und die Sicherheit der Geretteten nicht weiter bedroht sind und wo ihre menschlichen Grundbedürfnisse wie Essen, Obdach und medizinische Versorgung erfüllt werden können“. Die Richtlinie legt weiterhin fest, dass auch der Schutz der Grundrechte sowie der Grundsatz des Zurückweisungsverbots berücksichtigt werden müssen. Beides ist bei Ländern wie Tunesien oder Libyen nicht gegeben, weshalb weder Tunesien noch Libyen als sichere Orte gelten können.

…wer den lebensrettenden Einsatz von SOS Humanity ermöglicht?

In erster Linie finanziert sich SOS Humanity durch Einzelspenden und durch die Unterstützung von institutionellen Partner. Entsprechend einem Beschluss des deutschen Bundestages von Ende 2022 erhielten wir im Sommer 2023 erstmals eine Zuwendung aus dem Bundeshaushalt Viele spenden außerdem ihre Zeit: Freiwilligengruppen engagieren sich an Land und Ehrenamtliche an Bord ermöglichen unsere Rettungseinsätze, ohne ein Honorar für ihre Arbeit zu erhalten. Sie alle tragen dazu bei, dass schutzsuchende Menschen in Seenot gerettet werden können.

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