
Bei unserer lebensrettenden Arbeit auf See halten wir uns immer an geltendes internationales Recht. Nach diesem gilt die Pflicht zur Seenotrettung überall auf See und für alle Schiffe gleichermaßen. Küstenstaaten müssen dafür sorgen, dass jeder Person in Seenot geholfen wird. Anschließend besteht die völkerrechtliche Pflicht aus Seenot Geretteten schnellstmöglich an einem sicheren Ort an Land zu bringen.
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Die Pflicht zur Seenotrettung gilt überall auf See und für alle Schiffe gleichermaßen.
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Staaten müssen dafür sorgen, dass jeder Person in Seenot geholfen wird.
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Aus Seenot Gerettete müssen an einen sicheren Ort gebracht werden.
Seenotrettung ist Pflicht
Nach internationalem Seerecht sind alle Schiffe überall auf See dazu verpflichtet, in Seenot geratenen Menschen Hilfe zu leisten. Seenotrettung ist als menschliche Pflicht in der maritimen Tradition verankert und gilt als Völkergewohnheitsrecht überall auf See [1]. Darüber hinaus regulieren drei völkerrechtliche Abkommen die Koordinierung und Durchführung der Seenotrettung: das Internationale Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS, 1974) [2], das Internationale Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See (SAR, 1979), [3] und das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ, 1982) [4].

Egal, ob privates Handelsschiff oder staatliches Militärschiff: Ausnahmslos alle Schiffe und Seefahrer*innen sind an die Grundsätze der Seenotrettung gebunden. Alle Schiffe in der Umgebung sind dazu verpflichtet, in Seenot geratenen Menschen Hilfe zu leisten. Die einzige Einschränkung ist, dass sich die Schiffe und ihre Besatzung bei den Rettungsmaßnahmen nicht selbst in Gefahr bringen sollten. (SAR, Anlage)
Wann liegt ein Seenotfall vor?
Es handelt sich um einen Seenotfall, wenn sich die Menschen an Bord eines Schiffes in ernsthafter Gefahr befinden und ohne Hilfe von außen nicht in Sicherheit gelangen können (SAR, Anlage). Solch eine Notsituation liegt zum Beispiel vor, wenn ein Boot manövrierunfähig ist, wenn die Anzahl der Menschen an Bord die Kapazitäten des Schiffes überschreitet oder wenn es an Rettungsausrüstung wie Rettungswesten mangelt. Nachfolgend eine Auflistung der Kriterien, die einen Seenotfall ausmachen [5].

Eine Bitte um Unterstützung
Die (Un-)Seetüchtigkeit des Bootes (für hohe See) und die Wahrscheinlichkeit, dass das Boot sein Ziel nicht erreichen wird
Die übermäßige Anzahl von Personen an Bord im Verhältnis zum Typ und Zustand des Bootes
Der Mangel an Rettungsmitteln und die Tatsache, dass die Menschen keine Rettungswesten tragen
Die Verfügbarkeit notwendiger Vorräte wie Treibstoff, Wasser und Nahrungsmittel, die ausreichen, um einen sicheren Ort zu erreichen
Die tatsächlichen Wetter- und Seebedingungen sowie Vorhersagen.
Die Boote, in denen schutzsuchende Menschen von Libyen und Tunesien aus flüchten, sind nicht hochseetauglich und zumeist gefährlich überbesetzt. Zudem tragen die Menschen keine Rettungswesten. Deshalb sind sie ab dem Zeitpunkt, an dem sie die Küste verlassen, als Seenotfall zu betrachten.
Dabei spielt es keine Rolle, ob die Menschen sich wissentlich oder unwissentlich in Gefahr begeben, denn im Völkerrecht ist ein Diskriminierungsverbot festgeschrieben. Allen Menschen in Seenot muss Hilfe geleistet werden, unabhängig von ihrer Nationalität, ihres Status oder der Umstände, in denen sie vorgefunden werden. (SAR)
Was muss eine Seenotrettung umfassen?
Eine Seenotrettung beinhaltet, dass die Menschen in Seenot gerettet werden, eine (medizinische) Erstversorgung erhalten und an einen sicheren Ort („place of safety“) gebracht werden. (MSC 155) [6] Die Rettung ist somit erst abgeschlossen, wenn die Überlebenden einen sicheren Ort erreicht haben. An diesem Ort darf das Leben der Geretteten nicht länger in Gefahr sein und die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse muss sichergestellt sein. (MSC 167) [7] Die Ausschiffung muss so schnell wie möglich erfolgen.
Seenotfälle – Staaten haben die Pflicht zu koordinieren
Um die Sicherheit auf See zu gewährleisten, sind alle Küstenstaaten rechtlich dazu verpflichtet, selbst einen „angemessenen und wirksamen Such- und Rettungsdienst“ einzurichten und zu betreiben oder sich regional zusammenzuschließen, um einen solchen zu ermöglichen. (SRÜ)
Im Rahmen der Internationalen Maritimen Organisation wurden alle territorialen und internationalen Gewässer in aufgeteilt und die Zuständigkeit für diese Zonen festgelegt. Der jeweils zuständige Küstenstaat ist sowohl für die Koordination von Seenotfällen als auch für die Zuweisung eines sicheren Ortes für die Überlebenden verantwortlich. Dazu muss der Küstenstaat eine Rettungsleitstelle (Rescue Coordination Centre, RCC) einrichten, die in der Lage ist, auf Notfälle zu reagieren und die Rettungsmaßnahmen zu koordinieren. Diese Rettungsleitstelle muss mit geeigneten Mitteln zur Kommunikation, insbesondere zum Empfang von Notrufen, ausgestattet sein. (SAR) Des Weiteren sollte sie rund um die Uhr erreichbar und mit Englisch sprechendem Personal besetzt sein. (MSC 70) [8]

Wird eine Rettungsleitstelle über einen Seenotfall mit unbekannter Position informiert und ist ihr nicht bekannt, ob andere Stellen entsprechende Maßnahmen treffen, so muss sie die Verantwortung solange übernehmen, bis eine zuständige Leitstelle bestimmt wird, welche der Koordinierungsverpflichtung nachkommt. (SAR) Die zuerst erreichte Rettungsleitstelle trägt die Verantwortung für die Koordinierung des Seenotfalls, bis die zuständige Rettungsleitstelle oder eine andere Behörde die Verantwortung übernimmt. (MSC 167)
Sobald die Leitstelle von einem Seenotfall erfährt, ist sie dazu verpflichtet, das nächste Schiff in unmittelbarer Nähe mit der Rettung zu beauftragen, bei Bedarf eine medizinische Evakuierung zu ermöglichen und im Anschluss an die Rettung zügig einen nahegelegenen sicheren Ort für die Ausschiffung der Überlebenden zuzuweisen. (SAR)
Die koordinierende Rettungsleitstelle ist dazu verpflichtet, einen Einsatzleiter vor Ort („On-Scene Coordinator“) zu bestimmen. Bis zur Ernennung übernimmt das erste im Suchgebiet eintreffende Schiff automatisch die Einsatzleitung vor Ort. Der „On-Scene Coordinator“ ist für die Such- und Rettungsmaßnahmen verantwortlich, sofern diese Aufgaben nicht von der Rettungsleitstelle wahrgenommen werden. (SAR)
Was macht einen sicheren Ort aus?
Die Rettung endet rechtlich erst, wenn die Überlebenden an einem sicheren Ort an Land gehen können. An diesem Ort darf das Leben der Geretteten nicht länger in Gefahr sein und die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse muss sichergestellt sein. (MSC 167)
Darüber hinaus schreiben sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK, 1950) [9] als auch die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, 1951) [10] vor, dass Menschen nicht in einen Staat mit prekärer Menschenrechtslage zurückgebracht werden dürfen („Nichtzurückweisungsgebot“). Dies gilt sowohl für Schiffe der EU und ihrer Mitgliedstaaten als auch für private Schiffe, die unter einem Flaggenstaat fahren, der an diese Konventionen gebunden ist. Auch die Richtlinien der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation der Vereinten Nationen bestimmen, dass Überlebende, die internationalen Schutz brauchen, nicht in ein Land gebracht werden sollten, in denen ihr Leben und ihre Freiheit bedroht sind.
Du willst noch mehr über die rechtlichen Hintergründe der Seenotrettung lesen? In unserem Völkerrechtsreport ab Seite 14 haben wir die rechtlichen Grundlagen inklusive Verweise auf die betreffenden Gesetze noch ausführlicher aufgearbeitet.
[1] Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste (2016): Sachstand. Sachstand WD 2 – 3000 – 138/16, S.6, hier online verfügbar
[2] SOLAS, 1974, hier online verfügbar
[3] SAR, 1979, hier online verfügbar
[4] SRÜ, 1982, hier online verfügbar
[5] EU-Verordnung Nr. 656/2014, Artikel 9, hier online verfügbar
[6] MSC. 155(78), Anlage 3.1.9, hier online verfügbar
[7] MSC.167(78), Anlage, 6.12, hier online verfügbar
[8] MSC. 70(69) 2.3.3, hier online verfügbar
[9] EMRK, 1950, hier online verfügbar
[10] GFK, 1951, hier online verfügbar