„Ihr seid ein Hoffnungsschimmer!“

Überdimensionales Faltboot auf einer Wiese
Wanda Proft / SOS Humanity

Laura Gorriahn aus dem Vorstand von SOS Humanity hält am 20. Juni 2024 eine Rede beim Aktionstag „100 Boote – 100 Millionen Menschen“ von der AWO Sachsen-Anhalt. Hier gibt es die Rede zum Nachlesen:

Ich spreche für die zivile Seennotrettungsorganisation SOS Humanity. Wir betreiben das Rettungsschiff, die Humanity1, die hier sogar heute als Papierschiff mit dabei ist. Zusammen mit Annika, die hier gleich nach mir für United4Rescue sprechen wird, war ich von Februar bis März 2024 selbst als Freiwillige an Bord der Humanity 1.

Und ich will euch heute ein bisschen von unserem Einsatz erzählen. Es war leider ein sehr dramatischer, schwieriger Einsatz. Wir wurden zu einem Boot in Seenot gerufen und machten uns auf die Suche. Auf einmal war nicht ein, sondern drei kleine seeuntaugliche Boote mit insgesamt über 100 Menschen in der unmittelbaren Nähe unseres Schiffes. Die Situation war extrem unübersichtlich und eines der Boote lief bereits mit Wasser voll. Wir haben sofort die Rettung eingeleitet und die Situation unter Kontrolle gebracht. Unsere Crew hatte bereits angefangen, Menschen von dem ersten Boot nach und nach zur Humanity 1 zu bringen, während an die Menschen auf den anderen Booten Schwimmwesten verteilt wurden.

Fotobeweis von der Gewaltbereitschaft der sogeannten libyschen Küstenwache
Camilla Kranzusch / SOS Humanity

Plötzlich tauchte ein Patrouillenboot der sogenannten lybischen Küstenwache auf und bedrohte unsere Crew, die gerade mit der Rettung beschäftigt war, mit einem Maschinengewehr. Unsere Beiboote mussten sich daraufhin zurückziehen.

Die vermummten und bewaffneten Männer der sogenannten lybische Küstenwache enterten die Boote der Geflüchteten, schlugen auf die Menschen ein und übernahmen das Steuer.

Als sie sich mit den Booten in Bewegung setzten, brach Panik aus und Menschen fielen oder sprangen ins Wasser. Viele hatten noch keine Rettungswesten erhalten. Sofort fing unsere Crew an, Schwimmhilfen ins Wasser zu werfen und begann so viele Menschen wie möglich aus dem Wasser zu ziehen. In dieser Situation fiel ein Schuss. Die lybische Küstenwache hat auf unsere Rettungscrew und die Ertrinkenden geschossen. Man muss es sich vor Augen halten.

Eine sogenannte „Küstenwache“ schießt auf eine Rettungscrew und auf Ertrinkende. Und eben weil diese sogenannte „Küstenwache“ uns mit ihren Maschinengewehren weiter bedrohte und uns die deutsche Rettungsleitstelle in Bremen deshalb den Abbruch anordnete, mussten wir die Rettungsaktion abbrechen. Wir mussten Menschen im Wasser auf offener See zurücklassen.

"Wir wissen nicht, ob alle Menschen überlebt haben. Daran muss ich noch oft denken. Und es macht mir sehr zu schaffen."

Nach tagelanger Fahrt zu dem unnötig weit entfernten Hafen, der uns von Italien angewiesen worden war, erfuhren wir dann, dass die lybische Küstenwache behauptet hatte, WIR hätten uns kriminell verhalten. Und die italienischen Behörden haben es ihnen gerne geglaubt. Sie setzen unser Schiff für drei Wochen im Hafen fest. Auch in dieser Zeit sind Boote gekentert und Menschen gestorben – und wir durften nicht retten.

Diese Festsetzung ist ein weiteres Beispiel für Schikane der zivilen Seenotrettung durch das Mittel der Kriminalisierung. Die Rettungsorganisationen werden mit immer neuen Gesetzen und Verordnungen an der Rettung von Menschenleben gehindert. Dazu gehören immer neue behördliche Vorgaben genauso wie die strafrechtliche Verfolgung von Crewmitgliedern.

Auch die Zuweisung weit entfernter Häfen ist Teil dieser Schikanepolitik, die die Rettungsschiffe aus der Rettungszone raushalten und vom Retten abhalten soll. Jeder Kilometer auf See kostet zudem teures Geld und frisst Spendengelder, die ohnehin knapp sind. Außerdem ist es eine großen Belastung für die oft körperlich und psychisch erschöpften Geflüchteten an Bord.

"Die EU und ihre Mitgliedstaaten verabschieden sich mit dieser Politik und mit ihren Deals mit Tunesien, Albanien und immer neuen Ideen wie dem Ruanda-Modell immer weiter von den Menschenrechten."

Die Besatzung, die uns beschossen hat, ist Teil eines Deals der EU mit Libyen. Ihr Boot kommt aus Italien, sie wurden von der EU ausgebildet, der Einsatz ist von unseren Steuergeldern bezahlt.

SOS Humanity hat gestern einen Bericht veröffentlicht, der ausführt, wie die EU die Seenotrettung im Mittelmeer behindert und Flüchtende dabei systematisch entrechtet. Denn wir dürfen nicht vergessen: Am härtesten trifft es die Geflüchteten selbst. Weil es keine legalen Fluchtwege gibt, müssen sie die gefährlichen und todbringenden Fluchtwege auf sich nehmen müssen, um ihre grundlegende Rechte in Anspruch zu nehmen. Auch wenn sie in Europa angekommen sind, erleben sie Verletzungen ihrer Menschenrechte, beispielsweise durch willkürliche Inhaftierungen, kaum Zugang zu rechtlicher Unterstützung, sowie der systematischen Verurteilung wegen vermeintlichen Menschenschmuggels.

Den Bericht findet ihr hier.

Gegen unsere Festsetzung sind wir übrigens juristisch vorgegangen und das Gericht in Italien hat uns Recht gegeben und bestätigt, dass die sogenannte lybische Küstenwache und die Rettungsleitstelle in Libyen durch ihr Handeln, Menschenleben gefährden. Am Ende waren wir nur 14 Tage festgesetzt und das Gericht erklärte die Festsetzung grundsätzlich für rechtswidrig. Solche Entscheidungen sind ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Ein riesiger Hoffnungsschimmer ist eine Zivilgesellschaft wie ihr. Mit 100 Booten habt ihr ein Zeichen gesetzt gegen Ausgrenzung, für Solidarität und für Menschlichkeit. Das bewegt mich sehr, vielen Dank.

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