SOS Humanity kritisiert Anhörung zum „Rückführungsverbesserungsgesetz“ im Bundestag
Berlin, 11.12.2023. Im Deutschen Bundestag findet heute ab 11:30 Uhr im Innenausschuss die öffentliche Anhörung für den Entwurf des „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ statt. Hierzu gehört auch die umstrittene Änderung des Paragrafen 96 Aufenthaltsgesetzes, die eine Strafe von humanitärer Hilfe für flüchtende Menschen mit bis zu 10 Jahren Haft möglich macht. Bei der Anhörung sind keine humanitären Organisationen vertreten.
„Obwohl es die letzte Chance ist, die fatalen Auswirkungen der geplanten Strafbarkeit für humanitäre Hilfe deutlich zu machen, ist die Liste der eingeladenen Sachverständigen höchst einseitig“, kritisiert Mirka Schäfer, politische Sprecherin der zivilen Seenotrettungsorganisation SOS Humanity. „Denn zur öffentlichen Anhörung wurden keine Vertreterinnen und Vertreter von Menschenrechts- oder humanitären Organisationen geladen. Unsere Expertise wird hier bewusst ignoriert.“ Diese, darunter unter anderen SOS Humanity, Sea-Watch und Amnesty International hatten zuvor massive grundrechtliche sowie europa- und völkerrechtliche Bedenken zu einem Großteil der Änderungen geäußert.
Durch die geplante Ausweitung des Paragrafen 96 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes würde humanitäre Hilfe für Flüchtende unter Strafe gestellt. Zivile Seenotrettungsorganisationen würden für ihre lebensrettende Arbeit die Rechtssicherheit in Deutschland verlieren. Mirka Schäfer: „Es wäre ein Skandal, wenn humanitäre Helfende wie Lebensretterinnen und -retter sowie Geflüchtete, die Angehörige unterstützen, in Deutschland riskieren im Gefängnis zu landen. Noch mehr Tote auf dem Mittelmeer und noch mehr Leid für Flüchtende als Folge würden auf das Konto der bundesdeutschen Politik gehen, wenn dieses Gesetz kommt.“
In einem aktuellen Rechtsgutachten stellen die Juristen Prof. Dr. Aziz Epik (Uni Hamburg) und Prof. Dr. Valentin Schatz (Uni Lüneburg) fest: „Nach unserer Auffassung birgt eine unveränderte Übernahme [..] des Gesetzentwurfs das Risiko einer Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer.“*
SOS Humanity fordert, dass diese Ausweitung des Paragrafen 96 zurückgenommen und eine humanitäre Klausel eingebracht wird, um Sanktionen gegen humanitäre Hilfe auszuschließen.
*Das erwähnte Rechtsgutachten von Prof. Dr. Aziz Epik (Uni Hamburg) und Prof. Dr. Valentin Schatz (Uni Lüneburg) finden Sie hier: Gutachten-zur-Neufassung-des-§-96-AufenthG-1.pdf (lnob.net)
Hintergrund:
Das Bundesinnenministerium hatte im Herbst den Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem neuerdings auch uneigennützige Hilfe für Menschen auf der Flucht in den Schengenraum, wie die von Mitarbeitenden ziviler Seenotrettungsorganisationen, mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Die Ampel-Regierung hat das Gesetz bereits im Kabinett beschlossen.
Die erste Lesung im Bundestag fand bereits am 30. November statt. Die zweite und dritte Lesung des Gesetzesentwurfs stehen noch aus.
Bislang steht in Deutschland nur unter Strafe, wer „Ausländer“ gegen einen persönlichen Vorteil wie finanziellen Gewinn in den Schengenraum bringt. Nun aber hat das Bundesinnenministerium eine Gesetzesänderung vorgeschlagen, die vom Kabinett bestätig wurde, sodass auch die uneigennützige, humanitäre Hilfe für Flüchtende strafbar wird. Demnach unterliegen Helfende, die „wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handeln“, indem sie diese in den Schengenraum bringen, der Strafverfolgung. Nach Einschätzung von Juristinnen und Juristen beträfe dieses Gesetz auch die lebensrettende Arbeit auf dem Mittelmeer durch zivile Seenotrettungsorganisationen.
Der unabhängige Jurist R.A. David Werdermann: „Die Gesetzesänderung ist so gut versteckt, dass ich nur durch Zufall darauf gestoßen bin und selbst spezialisierte Jurist*innen sie nur mit Mühe nachvollziehen können.“
David Werdermann hat die Gesetzesänderung im Detail analysiert und hier veröffentlicht: Faktencheck Seenotrettung: Innenministerium täuscht Bundestag – Volksverpetzer
Stellungnahme von 56 Organisationen gegen die Kriminalisierung von humanitärer Hilfe vom 21.11.2023, unterzeichnet u.a. von: Amnesty International Deutschland, Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland, Ärzte ohne Grenzen Deutschland, Brot für die Welt Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., Kindernothilfe e.V., Der Paritätische Gesamtverband, PRO ASYL, SOS-Kinderdörfer e.V., terre des hommes, u.v.m.
Rechtsgutachten von Jurist David Werdermann und Juristin Vera Magali Keller
Petition von SOS Humanity gemeinsam mit Sea-Watch, United4Rescue und weiteren NGOs mit bereits über 119.000 Unterschriften