Elfenbeinküste, Tunesien, Mittelmeer: Zwei Gerettete erzählen ihre Geschichte

Füße gucken unter einer grauen Decke hervor und werden teilweise von der Sonne bestrahlt.
Raphael Schumacher / SOS Humanity

Ange* und Anna* von der Elfenbeinküste flohen im Juli 2023 über das zentrale Mittelmeer. Zehn Stunden nachdem sie in Tunesien aufbrachen, konnte unsere Crew sie von dem überbesetzten, seeuntauglichen Boot retten. An Bord erzählen sie der Crew ihre Geschichte.

*Namen geändert und Personen nicht auf den Fotos abgebildet.

Ange: Ich komme von der Elfenbeinküste. Meine Familie ist sehr arm. Ich bin die Hoffnung meiner Mutter, die Älteste. Meine Mutter hat nichts mehr. Also bin ich nach Tunesien gekommen, um meine Mutter und meine Kinder zu unterstützen. Aber Tunesien, das muss man ehrlich sagen, ist ein rassistisches Land. 

Anna: Ich habe die Elfenbeinküste auf eigene Faust verlassen. Ich habe Kinder in der Elfenbeinküste, und ich kann sie nicht großziehen. Ihr Vater hat mich verlassen. Ich habe mich alleine um meine Kinder gekümmert. Meine Mutter lebt nicht mehr. Mein Vater ist auch nicht mehr am Leben. Ich habe meine Kinder zu einer Freundin gegeben, und bin nach Tunesien gegangen. Ich bin gekommen, um hier Fuß zu fassen. Man hat mir nicht die Wahrheit gesagt. Sie sagten, in Tunesien bezahlen sie dir viel, aber das ist nicht der Fall. 

Ange: Sie bezahlen dich gar nicht. Mir haben sie meinen Lohn nicht gezahlt. Ich hatte um zehn Uhr abends Feierabend und habe am nächsten Tag um sechs Uhr morgens angefangen. Man wird so lange auf den Beinen gehalten, wie sie es wollen.  

Selbst wenn du in den Laden gehst und die Erste in der Warteschlange bist, tun die Tunesier so, als würden sie sich mit ihren Brüdern oder Schwestern unterhalten, sie sehen dich nicht an, ein anderer Tunesier kommt und wird bedient. Du wirst ignoriert.  

Anna: Und wenn du ins Krankenhaus gehst, selbst wenn du schwanger bist, nehmen sie keine Rücksicht auf dich, sie versorgen dich nicht schnell.

Wenn du als Schwarzer ins Krankenhaus gehst, wirst du dort sterben, wenn du dich nicht aufpasst.

Ange: Die Kinder auf der Straße haben körperliche Gewalt gegen uns ausgeübt. Du siehst mein Auge, es ist verletzt. Sie griffen mich an, sechs Jugendliche. Sie haben Steine auf mich geworfen. Die Steine haben mich hier getroffen, Gott sei Dank hatte ich keine Brille auf. Stell dir mal vor, wenn ich eine gehabt hätte. Die Glassplitter hätten meine Augen durchbohrt und ich hätte mein Augenlicht komplett verloren. Wenn du vorbeigehst, fassen dir die Jugendlichen oft an die Brüste. Wenn du sagst: „Was machst du da?“, schlagen sie dich.  

Anna: Wenn du zur Polizei gehst, fragen sie dich nach einer Aufenthaltsgenehmigung. Aber sie geben uns nie eine Aufenthaltsgenehmigung, es ist schwierig, eine zu bekommen. 

Das Mittelmeer und der Horizont mit einem kleinen Boot in der Ferne.
Raphael Schumacher / SOS Humanity

Anna: Ich wusste, dass die Dinge nicht gut liefen. Irgendwann sagten sie: Geh zurück an die Elfenbeinküste, geh zurück. Ich sagte: Ich bin schon hier, ich werde weitermachen. Wenn ich zurückkehre, gibt es nichts. Deshalb habe ich das Mittelmeer überquert.  

Ange: Mit Kindern in Tunesien zu bleiben, das war unmöglich. Menschen flüchten nicht übers Wasser, wenn keine Gefahr hinter ihnen ist. Tunesien war kein Ort für mich. Also musste ich das Risiko mit meiner Tochter eingehen. Ich tat es, weil ich die Hoffnung aufgegeben hatte. Ich konnte nicht bleiben. Meine Tochter schlief. Ich stieg in das Boot. Als sie aufwachte, rief sie: „Mama, was ist das?“ Ich fragte: „Was hast du gesehen, Prinzessin?“ Sie rief: „Mama, da ist so viel Wasser!“ Ein kleines Mädchen, erst vier Jahre alt. Es war auch ein kleines Mädchen im Boot, zusammen mit meiner Tochter. Ein einjähriges Baby. 

Anna: Wir verließen Tunesien und kamen um 11 Uhr in internationalen Gewässern an. Da war kein Rettungsschiff, wir fuhren einfach weiter, das Wasser wurde knapp. Der Motor war kaputt. Das war’s. Wir haben versucht, eine Nummer anzurufen, ein italienisches Rettungsschiff, aber die Nummer ging nicht durch, wir bekamen keine Antwort. Wir haben von 11 Uhr bis 21 Uhr gewartet. 

Ange: Es gab keine Hoffnung mehr. Wir wussten nicht einmal, wo wir waren. Es war vorbei. Ehrlich, es war vorbei. Wasser drang in das Boot ein. Wir konnten nichts sehen. Aber plötzlich sahen wir euch. Als wir eure Schnellboote sahen, fingen wir an zu schreien. Die Kinder weinten. Ich sagte, dass ihr vielleicht Engel seid, die Gott uns gebracht hat. 

Zwei Gerettete mit orangen Rettungswesten von hinten und blauer Himmel im Hintergrund.
Raphael Schumacher / SOS Humanity

Ange: Als ihr uns gerettet habt, habt ihr darauf geachtet, dass niemand ins Wasser fällt, auch keines der Kinder. Ihr habt es geschafft, all diese Kinder zu retten, das war eine große Erleichterung für mich. Als ich auf euer Schiff kam, war ich so erleichtert. Ich habe mich gefragt, ob ich es wirklich bin, ob ich wieder zum Leben erwache. 

Anna: Wenn ihr nicht gewesen wärt, wären wir jetzt tot, also: danke. Wenn es dieses Boot aus Deutschland nicht gäbe, wäre unser Leben zu Ende. Ich würde gerne mit euch gehen, denn Italien hat mich nicht gerettet. Ich würde gerne nach Deutschland gehen.  

Ange: Europa wird über mein Leben entscheiden, nicht ich. Ich weiß nicht, was mir das Leben in Europa bringen wird. Aber die Menschen achten dort die Menschenrechte. Was ich in Tunesien erlebt habe, da bin ich mir sicher, das wird mir in Europa nicht passieren und ich kann ein besseres Leben haben. 

Blick auf die aufgehende Sonne hinter dem Mittelmeer zwischen zwei Planen der Humanity 1.
Nicole Thyssen / SOS Humanity

Anna: Ich möchte in Sicherheit sein. Ich bitte um Hilfe, um Asyl, um den Schutz unseres Lebens. 

Ange: Und darum, dass wir wieder Freude finden können. Wir haben die Freude schon vor langer Zeit verloren. In den Jahren, die wir in Tunesien verbracht haben, gab es keine Freude. Wenn Europa uns diese Freude zurückgeben könnte, damit wir lächeln können, wie andere Menschen auch; wenn Europa uns als Menschen akzeptieren könnte – das wäre schön. Wir sind ja auch Menschen. 

Schwarze Haut ist nicht anders. Gott hat sie uns gegeben, wir haben sie nicht erschaffen. Wenn weiße Haut ein Geschenk Gottes ist, dann ist schwarze Haut das auch. Ich bitte also nur darum, dass Leute uns als menschliche Wesen, und nicht als Tiere, sehen. 

Wir sind alle Menschen, mit dem gleichen Blut. Wenn man mich schneidet, fließt Blut; wenn man dich schneidet, ist es auch Blut. Für mich wäre das Blut nicht grün, für dich wäre es nicht schwarz. Es ist das gleiche Blut, ja oder nein? 

Anna: Es ist dasselbe. 

Das Gespräch wurde von Sasha Ockenden, Kommunikationskoordinator an Bord der Humanity 1, auf Französisch geführt und aufgezeichnet.

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