Humanity wird festgesetzt – wir klagen!
Am 2. März 2024 wird die Crew der Humanity 1 von der sogenannten libyschen Küstenwache mit der Androhung von Waffengewalt bedroht, als sie eine illegale Rückführung beobachtet. Kurz darauf unterbricht die sogenannte libysche Küstenwache gewaltvoll eine laufende Rettungsaktion der Humanity 1 und bringt Menschen in Lebensgefahr. Doch zwei Tage später ist es nicht die sogenannte libysche Küstenwache, die von Italien zur Verantwortung gezogen wird, sondern wir. Ein Überblick über die Geschehnisse:
„Zurück! Zurück oder wir schießen!“, brüllen die Männer auf dem Patrouillenboot der sogenannten libyschen Küstenwache. Menschen befinden sich im Wasser. Doch unserer Crew bleibt nichts anderes übrig, als dabei zuzusehen, wie etwa 50 Menschen auf das Patrouillenboot gezwungen werden. Ihnen steht eine illegale Rückführung nach Libyen bevor – zurück in das Land, aus dem sie zu fliehen versuchten. Das ist gegen internationales Recht.
Doch es gibt keine Zeit zum Innehalten. Ein weiterer Notruf erreicht uns: Mit voller Geschwindigkeit nimmt die Humanity 1 Kurs auf. Es ist nicht ein Boot in Seenot – es sind drei. Die Crew lässt die Schnellboote zu Wasser. Während die Crew der Humanity 1 den Rettungseinsatz durchführt, kommt dasselbe Schnellboot mit bewaffneten Männern der sogenannten libyschen Küstenwache hinzu und bedroht unsere Crew. Panik bricht aus. Menschen fallen oder springen ins Wasser. Die Crew der Humanity 1 wirft Rettungsmittel ins Wasser und beginnt Menschen aus dem Wasser zu bergen. Die sogenannte libysche Küstenwache schießt ins Wasser.
Diese Situation ist lebensgefährlich. Für die Menschen im Wasser, jene auf den seeuntauglichen Booten und auf den Schnellbooten der Humanity 1. Die Crew der Humanity 1 ist aufgrund der Gefährdung dazu gezwungen den Rettungseinsatz abzubrechen. Als sich die Schnellboote der Humanity 1 entfernen, bleiben Menschen im Wasser zurück und die sogenannte libysche Küstenwache zwingt Menschen auf ihr Patrouillenboot, um sie völkerrechtswidrig nach Libyen zurückzuzwingen.
Es gelingt der Crew insgesamt 77 Menschen an Bord der Humanity 1 zu bringen. An Bord berichten Überlebende, dass die sogenannte libysche Küstenwache einen Menschen im Wasser zurückließ. Er ist vermutlich ertrunken.
EU finanziert Rechtsbrüche auf dem Mittelmeer
Dieser Tod ist kein Unfall und keine Tragödie. Dieser Tod ist politisch forciert. Das libysche Patrouillenboot, das die Rettungsmaßnahmen der Humanity 1 durch Waffengewalt abbrach, wurde letzten Sommer von italienischen Behörden im Rahmen einer EU-Finanzierung nach Libyen geliefert. Die EU finanziert die sogenannte libysche Küstenwache, die Menschen kurz vor dem Ertrinken mit Schüssen bedroht, anstatt ihnen zu helfen und sie illegal nach Libyen zurückzwingt. Sie ist damit mitverantwortlich für Rechtsbrüche wie diese auf dem Mittelmeer!
Die italienischen Behörden weisen zunächst Porto Empedocle, dann Bari und schließlich Crotone in Italien als sicheren Ort für die Ausschiffung zu – eine zweitägige Fahrt. Als am Abend des 4. März die 77 Überlebenden von Bord der Humanity 1 gehen, können wir es kaum fassen:
Die Humanity 1 wird festgesetzt – aufgrund von haltlosen und illegitimen Vorwürfen.
Die Behörden werfen uns vor, das Eintreffen der Humanity 1 hätte Menschen dazu veranlasst, ins Wasser zu springen und damit eine Gefahrensituation verursacht. Tatsächlich war die Humanity 1 das erste Schiff am Einsatzort und unsere Crew hatte schon mit den Rettungsmaßnahmen begonnen, als die sogenannte libysche Küstenwache eintraf. Bis dahin verlief die Rettung ruhig und professionell.
Erst als die vermummten Männer auf dem libyschen Patrouillenboot ankamen und uns und die Menschen im Wasser mit Schusswaffen bedrohten, eskalierte die Situation und Menschen sprangen oder fielen ins Wasser. Als die Männer einen Schuss abfeuerten, musste die Crew der Humanity 1 die Rettung aufgrund der Gewalt abbrechen und den Einsatzort verlassen, obwohl sich noch Menschen im Wasser befanden. Es war die sogenannte libysche Küstenwache die geltendes Recht gebrochen und eine lebensgefährliche Situation erzeugt hat. Durch ihr gewaltvolles Eingreifen ist mindestens ein Mensch vermutlich ertrunken.
Die Behörden werfen uns vor, wir hätten die Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache und Rettungsleitstelle nicht befolgt. Tatsächlich erteilten die libyschen Behörden unrechtmäßige Anweisungen, welcher der Kapitän nicht befolgen konnte: Die sogenannte libysche Küstenwache forderte die Humanity 1 auf, den Ort zu verlassen, obwohl die Besatzung mitten in der Rettungsaktion steckte und ein Boot bereits mit Wasser gefüllt war. Der Kapitän der Humanity 1 antwortete, dass er die Rettungsaktion abschließen werde, da er nach internationalem Recht dazu verpflichtet sei, und dass er den Einsatzort erst nach Abschluss der Rettungsaktion verlassen werde.
Das oberste Gericht in Italien hat zudem zuletzt erneut bestätigt, dass eine Rückführung von Menschen nach Libyen illegal ist. Daher hätte der Kapitän nach geltendem Recht die Rettung zu keinem Zeitpunkt an die sogenannte libysche Küstenwache übergeben dürfen. Die Crew der Humanity 1 wurde durch Waffengewalt jedoch dazu gezwungen.
Doch nicht die sogenannte libysche Küstenwache wird von Italien zur Verantwortung gezogen, sondern wir, obwohl wir uns an das internationale Recht gehalten und Menschenleben gerettet haben. Leo, der Kapitän der Humanity 1 kritisiert die Festsetzung scharf:
Wir klagen!
Wir lassen uns diese unrechtmäßige Festsetzung nicht gefallen und werden dagegen klagen. Die EU-Staaten finanzieren mit der sogenannten libyschen Küstenwache einen Akteur, der erwiesenermaßen geltendes Recht bricht und gewaltvoll agiert. Die Unterstützung der EU führte am Samstag dazu, dass Berichten von Überlebenden zufolge mindestens eine Person ertrank und eine unbekannte Zahl an Flüchtenden illegal nach Libyen zurückgezwungen wurde. Und damit nicht genug: Auf europäischem Boden, wo man sich der Einhaltung von Menschenrechten rühmt, werden die, die sich an geltende Rechte halten und Menschenleben retten, dafür bestraft. Das geht vor allem auf die Kosten von Menschen auf der Flucht. Denn unsere Crew kann nicht wie geplant zurück ins Einsatzgebiet fahren.
Wir fordern, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Unterstützung und Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache endlich beenden. Die durch die EU finanzierten, brutalen Abfangaktionen Flüchtender und deren rechtswidrige Rückführung nach Libyen müssen sofort eingestellt werden. SOS Humanity fordert eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle am 2. März 2024 und die umgehende Freilassung ihres unrechtmäßig festgesetzten Rettungsschiffs Humanity 1, um weiter Menschen in Seenot vor dem Ertrinken bewahren zu können.