Bundestag soll Gesetz zur Kriminalisierung von humanitärer Hilfe stoppen

Personen auf einer Demo in Berlin mit Schildern in den SOS Humanity Farben zum Thema "Saving Lives is not a Crime".
Wanda Proft / SOS Humanity

Berlin, 29.11.2023. Einen Tag vor der ersten Lesung einer Gesetzesänderung im Bundestag fordern mehrere zivile Organisationen die Abgeordneten auf, die im Gesetzesvorschlag verankerte Möglichkeit zur Strafverfolgung von humanitärer Nothilfe zu kippen. 

Die Seenotrettungsorganisationen SOS Humanity, Sea-Watch und Sea-Eye sowie die Bündnisse United4Rescue und #LeaveNoOneBehind erwarten von den Parlamentsmitgliedern, einen BMI-Gesetzesentwurf abzulehnen, der für humanitär Helfende eine brisante Neuerung enthält. Die Seenotretterinnen und -retter protestieren zusammen mit über 50 Organisationen gegen den Gesetzesvorschlag, starteten eine Petition und legten eine juristische Einordnung vor, um auf die im Entwurf für das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ versteckte Änderung des §96 Aufenthaltsgesetz aufmerksam zu machen.

Der Paragraf wurde so verändert, dass zivile Seenotretterinnen und -retter, die der internationalen Pflicht zum Retten auf See nachkommen, zukünftig in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden könnten, da auch uneigennützige Hilfe für Flüchtende strafbar wird. Somit würden Mitarbeitende von Hilfsorganisationen für ihre humanitäre Arbeit rechtlich belangt werden können.

Die Beschwichtigungsversuche des BMI, mit dem das Ressort auf die Vorwürfe reagierte, sind für die Organisationen unzureichend. So wurde in der Begründung der Gesetzesänderung festgehalten, dass zivile Seenotrettung durch das Gesetz nicht rechtlich verfolgt werden soll. Eine Gesetzesbegründung gibt Helfenden der Seenotrettung jedoch keine Rechtssicherheit.

„Wenn die Abgeordneten diesen Gesetzentwurf nicht aufhalten, sind allein in der zivilen Seenotrettung die Crews von zehn deutschen Organisationen von Haftstrafen bis zu zehn Jahren bedroht“, sagt Till Rummenhohl, Geschäftsführer von SOS Humanity. „Die Beteuerung aus dem Bundesinnenministerium, Seenotrettung sei mit dem Gesetz nicht gemeint, ist Augenwischerei. Wir brauchen Rechtssicherheit, sonst werden im Mittelmeer noch viel mehr schutzsuchende Kinder, Frauen und Männer ertrinken, weil unsere Arbeit als vermeintliche Straftat verfolgt werden kann. Das wird humanitäre Helferinnen und Helfer davon abhalten, als Teil der Schiffscrew in den Rettungseinsatz zu fahren. Deshalb appellieren wir an die Bundestagsabgeordneten: Stoppen Sie diese fatale Gesetzesänderung!“

Mehrere Juristinnen und Juristen haben den Gesetzentwurf auf die mögliche Strafbarkeit von Seenotrettung auf dem Mittelmeer überprüft und bestätigen die Gefahr der Strafverfolgung. Darunter sind David Werdermann, Vera Magali Keller und Nassim Madjidian.

Die erste Lesung zum „Rückführungsverbesserungsgesetz“ ist für Donnerstag, 30. November 2023, ab 9:00 Uhr im Bundestag eingeplant.

Hintergrund

Bislang steht in Deutschland nur unter Strafe, wer „Ausländer“ gegen einen persönlichen Vorteil wie finanziellen Gewinn in den Schengenraum bringt. Nun aber hat das Bundesinnenministerium eine Gesetzesänderung vorgeschlagen, die vom Kabinett bestätig wurde, sodass auch die uneigennützige, humanitäre Hilfe für Flüchtende strafbar wird. Schon nächste Woche soll das „Rückführungsverbesserungsgesetz“, in welchem neben Asylrechtsverschärfungen eine Ausweitung der Strafbarkeit von Hilfe für Flüchtende im Paragrafen 96 Aufenthaltsgesetzt enthalten ist, in den Bundestag eingebracht werden. Demnach unterliegen Helfende, die „wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handeln“, indem sie diese in den Schengenraum bringen, der Strafverfolgung. Nach Einschätzung von Juristinnen und Juristen beträfe dieses Gesetz auch die lebensrettende Arbeit auf dem Mittelmeer durch zivile Seenotrettungsorganisationen.

Der unabhängige Jurist R.A. David Werdermann: „Die Gesetzesänderung ist so gut versteckt, dass ich nur durch Zufall darauf gestoßen bin und selbst spezialisierte Jurist*innen sie nur mit Mühe nachvollziehen können.“

David Werdermann hat die Gesetzesänderung im Detail analysiert und hier veröffentlicht: Faktencheck Seenotrettung: Innenministerium täuscht Bundestag – Volksverpetzer

Stellungnahme von 56 Organisationen gegen die Kriminalisierung von humanitärer Hilfe vom 21.11.2023, unterzeichnet u.a. von: Amnesty International Deutschland, Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland, Ärzte ohne Grenzen Deutschland, Brot für die Welt Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., Kindernothilfe e.V., Der Paritätische Gesamtverband, PRO ASYL, SOS-Kinderdörfer e.V., terre des hommes, u.v.m.

Rechtsgutachten von Jurist David Werdermann und Juristin Vera Magali Keller

Petition von SOS Humanity gemeinsam mit Sea-Watch, United4Rescue und weiteren NGOs mit bereits über 115.000 Unterschriften

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