„Mein ganzer Körper schmerzt von innen.“

Ein Geretteter lehnt seinen Kopf auf die Seitenwand eines Schlauchbootes
Laurin Schmid

[Triggerwarnung] Der Text beschreibt explizit unterschiedliche Formen von Gewalt.

Amir* wurde am 20. März 2021 von der Crew der Ocean Viking aus einem überbesetzten Schlauchboot in internationalen Gewässern vor Libyen gerettet. Zusammen mit 105 anderen flüchtenden Menschen hatte der 15-jährige unbegleitete Jugendliche fast zehn Stunden in dem seeuntauglichen Boot auf See verbracht. Als die Rettungscrew das Boot sichtete, lief es bereits voll Wasser. Keiner der Insassen trug eine Rettungsweste.

Der Text entstand an Bord des Rettungsschiffes Ocean Viking, welches wir bis zum Ende des Jahres 2021 als deutscher Teil des europäischen Netzwerkes SOS Mediterranee betrieben haben.

Amir hat in Libyen schwere Misshandlungen erlebt.

Als er an Bord der Ocean Viking ankommt, bittet er darum, einen Arzt an Bord zu sehen. Er klagt über Schmerzen am ganzen Körper, insbesondere im Rücken. Bei der Untersuchung zittert er und zuckt jedes Mal zusammen, wenn Caterina, die Bordärztin, einen seiner Wirbel berührt. Schließlich erzählt er an Bord von den Ursachen der Schmerzen:

„Ende letzten Jahres wurde ich von libyschen Milizen gefangen genommen. Sie brachten mich in ein Lager und verlangten, dass ich meine Eltern anrief, um 2.700 libysche Dinar zu verlangen. Als ich mit meinen Eltern telefonierte, hatten sie mir Elektroklemmen auf den Rücken geklemmt und mir einen Stromschlag verpasst. Sie schlugen mich auch mit Stöcken.“

„Ich war mit einem Freund zusammen. Mein Freund wurde zu Tode geprügelt. Er ist für immer gegangen.“

„Meine Mutter hat es geschafft, die Hälfte des Geldes aufzutreiben, das sie verlangt haben. Sie schickte es. Sie haben mich noch mehrere Tage lang mit Stromschlägen gefoltert. Eines Tages gelang es mir, mit ein paar Freunden zu fliehen. Ich wurde von anderen Milizen wieder aufgegriffen und interniert. Ich wurde drei Tage lang nackt an eine Wand gefesselt. Jeden Tag hoben sie meine Füße hoch und schlugen mich mit Knüppeln auf die Fußsohlen. Morgens, mittags und abends schütteten sie auch Eimer mit eiskaltem Wasser über mich, um Geld zu erpressen. Aber ich wusste nicht, wen ich anrufen sollte. Ich hatte kein Geld. Ich blieb zwei Monate lang in diesem Lager. Viele Menschen starben dort.“

„Zum Glück gelang mir wieder die Flucht.“

„Aber dann wurde ich von der staatlichen Polizei gefasst. Sie fragten mich, ob ich in mein Herkunftsland zurückgebracht werden wolle. Ich wäre froh gewesen, zurückzugehen und bei meiner Familie sterben zu können. Aber dazu kam es nicht. Ich blieb drei Monate lang in diesem Gefängnis.“

„Schließlich gelang es mir, ein Boot zu besteigen. Mein ganzer Körper schmerzt von innen.“

„Die Schläge mit den Stöcken haben damals große Blutergüsse hinterlassen. Diese Spuren sind jetzt nicht mehr sichtbar, aber innerlich sind sie für eine sehr lange Zeit noch da.“

* Der Name wurde geändert, um die Identität des Überlebenden zu schützen.
* Der Text wurde von Crewmitgliedern an Bord der Ocean Viking aufgezeichnet und ins Deutsche übersetzt.
* Bei dem Titelbild handelt es sich um ein Symbolbild.

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